Nicht die Bohne!
sehr allein. Zwangsläufig dreht die Welt sich weiter, und ich samt Bohne drehe mich mit ihr. Der Drang, meinen Mitmenschen »Ich bin schwanger und lebe in schwierigen persönlichen Verhältnissen!« entgegenzubrüllen, ist nur schwer unter Kontrolle zu halten. Aber ich schweige. Irgendwie habe ich die abwegige Vorstellung, dass es erst dann zur echten Realität wird, wenn ich es ausspreche. Dass man vor Ablauf des dritten Monats sowieso zu niemandem ein Sterbenswörtchen sagen sollte, kommt mir an dieser Stelle sehr entgegen.
Was mir deutlich weniger entgegenkommt, ist die Tatsache, dass ich mich in den kommenden Wochen jeden Morgen hundeelend fühle und kotzen muss. Das ist mir fürs Erste real genug. Jeden Morgen, man stelle sich das vor! Es ist wirklich fürchterlich, aber anscheinend sind wir Menschen in der Lage, sogar solch unerfreuliche Schicksale irgendwann mit stoischer Gelassenheit zu ertragen.
Ich öffne, nachdem mein Wecker mich terrorisiert hat, die Augen, schwinge die Beine aus dem Bett und habe dann noch genau siebenundvierzig Sekunden, bis ich das erste Mal über der Kloschüssel hänge und die erstickten Laute eines brunftigen Elches von mir gebe. Hätte ich damals bei der Wohnungsrenovierung gewusst, dass ich mal eine so innige Beziehung zu meinem Klo aufbauen würde, hätte ich mich sicher für ein Wellness-Design-Objekt in Premium-Ausführung entschieden. So starre ich jeden Morgen in die Tiefen von »Santana« aus dem Baumarkt.
Die Kotzorgien haben die lästige Angewohnheit, niemals vor halb sieben zu beginnen. Keine Frühaufsteher also. Dementsprechend ist es immer knapp, noch ausführliche optische Renovierungsarbeiten durchzuführen. Was dazu führt, dass ich in den vergangenen Wochen regelmäßig zu spät im Büro erscheine. Ich, die fleißigste und pflichtbewussteste Arbeitsbiene von allen. Mein Chef wirft mir zunehmend fiesere Blicke aus seinen kleinen Schweinsäuglein zu. Er scheint fürchterlich irritiert von meinem Verhalten. Wie eine verhaltensgestörte Bulldogge wandert er ab acht Uhr morgens mit lauerndem Blick durch das Vorzimmer, um bei meinem gehetzten Erscheinen kommentarlos in seinem Büro zu verschwinden. Ich habe Angst, es ihm zu sagen. Dass ich eine Bohne in mir trage. Mir wird ganz blümerant, wenn ich nur daran denke. Außerdem bin ich, laut meinem neuen Freund, dem Schwangerschaftskalender im Internet, erst in der neunten Woche. Deswegen begnüge ich mich mit kurzen Kommentaren wie »’tschuldigung, verschlafen!«, »Viel Verkehr!« oder ähnlichen Unwahrheiten.
Darüber hinaus sehe ich aus wie eine Karre Mist. Aus lauter Verzweiflung und Zeitmangel habe ich mir selbst einen Pony geschnitten. Mit der Nagelschere. Das Ergebnis ist nicht schön, aber notwendig, um die plötzlich auf meiner Stirn sprießenden Pickel zu kaschieren.
Eigentlich müsste ich diese Bohne aus tiefstem Herzen verabscheuen, immerhin tut sie mir Schlimmes an. Macht mich hässlich, lässt mich zu spät zur Arbeit kommen und erlaubt mir ausschließlich den Konsum von grünem Wackelpudding und trockenem Brot. Völlig totalitär, dieser Zellhaufen. Doch wider Erwarten kann ich sie nicht verabscheuen. Im Gegenteil.
Die seltsame, vor sich hin quatschende Stimme in meinem Kopf hat mir zwar noch nicht die Besteigung eines Achttausenders befohlen, aber sie sinniert in den letzten Tagen immer so glücklich vor sich hin. Sie befiehlt mir, schützend meine Hände auf den noch nicht vorhandenen Babybauch zu legen und glückselig zu grinsen. Ich bemühe mich, diese Forderungen wenigstens in der Öffentlichkeit zu ignorieren. Nur zu Hause auf dem Sofa gebe ich ihnen nach. Dabei ist mein Bauch flach, und rein optisch ist da nichts Schützenswertes zu erkennen, und von glückseliger Glücklichkeit bin ich zurzeit Lichtjahre entfernt. Aber die Stimme ist mächtig und sehr autoritär. Und ich habe momentan keine Kraft zur Rebellion.
Zwei Wochen später – es ist mittlerweile Mitte Dezember – jage ich, wieder grandiose fünfundzwanzig Minuten zu spät, durch die schwere Holztür in mein Büro und treffe, welch Überraschung, auf meinen Chef, der lauernd vor meinem Schreibtisch herumsteht. Seine kleinen Schweineaugen verfolgen mich, während ich meine Tasche abstelle und meine Jacke in den Schrank hänge, bis ich endlich mit einem Knopfdruck den PC starte und auf meinem Bürostuhl Platz nehme. Ich öffne gerade den Mund, um eine standardisierte Entschuldigung von mir zu geben, da fährt er mich barsch an: »Frau
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