Nicht die Bohne!
dass er sich in einem Entwicklungsland befunden hätte und nun mit einem Eselskarren weiterreisen musste. Nein, er befand sich am Münchner Flughafen, und der Eselskarren bestand aus der Tatsache, dass er sich bei Europcar in eine Schlange aus drei Personen einreihen musste. Dann gab es die standesgemäße Fahrzeugkategorie nicht mehr, und er musste mit einem familienfreundlichen Minivan ganze fünfunddreißig Kilometer fahren. Das muss eine wirklich traumatisierende Erfahrung gewesen sein, zumindest war sie für ihn ein eindeutiges Indiz für mein mangelndes Engagement.
Was die Schnelligkeit betrifft: Ich bin verdammt schnell. Ich kann schnell schreiben, sprechen, essen und denken. Aber selbst wenn ich mit exorbitanter Geschwindigkeit arbeite, vernichtet er meinen Geschwindigkeitsrausch regelmäßig mit locker dahingesagten Sätzen wie »Kümmern Sie sich doch mal gleich um diesen Vorgang hier« oder der Aufforderung, ihm umgehend etwas zu essen zu besorgen, er sei unterzuckert. Der Weg in die Kantine dauert acht Minuten, dann muss die potenzielle Nahrung natürlich auch mit Bedacht und unter Beachtung eines genauen Ernährungsplans ausgewählt und begutachtet werden. Dann in die Schlange stellen und bezahlen, acht Minuten zurück. Fazit: Halbe Stunde weg. Das macht er locker dreimal am Tag, also bin ich locker anderthalb Stunden täglich mit der Beschaffung von Nahrungsmitteln für ihn beschäftigt.
Ich habe versucht, ihm dies alles freundlich und sachlich zu erklären, mit dem Ergebnis, dass er mir in durchaus bedrohlichem Tonfall zu verstehen gab, er könne es gar nicht leiden, wenn Mitarbeiter derartige Ausflüchte zu ihrer Rechtfertigung benutzten, anstatt die Verantwortung für ihre Versäumnisse zu übernehmen. Überhaupt sei ihm aufgefallen, dass ich viel zu viel hinterfragen würde, anstatt schlicht und einfach meine Arbeit zu erledigen.
Ich bekam vor Erschütterung spontanen Schluckauf, woraufhin er mir väterlich-jovial-ekelig auf die Schulter klopfte und mich mit den Worten »Ich sehe ja, dass Sie das sehr aufwühlt. Aber Sie können das doch besser« aus der Tür schob.
KREISCH ! Meine einzige Rettung war der Gedanke an Hanne und Andreas, meine Vorgänger in diesem Büro, die es geschafft haben, den Wahnsinn unbeschadet zu überstehen, und jetzt wichtige Projekte leiten dürfen. Beide werden sich später schier totlachen, wenn ich ihnen von diesem Treffen der dritten Art mit Herrn Dr. Hückelmann berichte. Es beruhigt mich zwar etwas, dass es ihnen nahezu genauso ergangen ist, einschließlich der Beurteilung, aber ich bekomme noch immer Schüttelkrämpfe und Schweißausbrüche, wenn ich an seine gemeinen und so unpassenden Worte zurückdenke.
»Sie haben gleich ein Gespräch mit dem Betriebsrat.« Wieder schießen ein paar kleine Spucketröpfchen über den Tisch, und ich rücke dezent zur Seite. Unvermittelt reißt er ein Blatt Papier aus irgendeiner Schublade neben seinem Stuhl und knallt es mir vor die Nase. Eine fein säuberlich getippte Tabelle in Arial Punkt 12. Als Überschrift steht dort: »Verfehlungen Frau Schmidt«. In Arial Punkt 14 fett.
Ich blinzle ungläubig. Endlich erreicht mich eine Erkenntnis, die anscheinend bis jetzt in irgendeiner unterbelichteten Ecke meines Hirns auf besseres Wetter gewartet hat. Er hat tatsächlich sämtliche Verspätungen, Rechtschreibfehler und diversen anderen Kram, der im hektischen Büroalltag nun mal passiert und zu normalen Organisationsabläufen dazugehört, als Fehler deklariert und akribisch in dieser Liste notiert. Zwei Seiten mangelhaftes Verhalten und ungenügende Leistung, getippt von fremder Hand, weil er nicht tippen kann. Magensäure umspült sanft mein Gaumensegel, und ich muss schlucken.
Jetzt nicht kotzen, Paula, ermahne ich mich. Sein minimalistischer Geist gepaart mit einer unfassbaren Portion an Größenwahn hat ihn tatsächlich glauben lassen, ich hätte das alles absichtlich getan. Ein Papierstau im Drucker, nur um ihn zu ärgern? Eine vorsätzlich falsch erstellte Liste? Obwohl er es war, der mir verkehrte Eckdaten genannt hat? Die Erkenntnis lässt zwar meinen Magen rebellieren, dafür kann ich immerhin wieder sprechen.
»Und was soll ich beim Betriebsrat?«, frage ich also nüchtern.
»Ihre Kündigung abholen!« Mit einer rasanten Bewegung des Oberkörpers nach links weiche ich den Spucketröpfchen aus, was mir einen irritierten Blick einbringt. Das Blut rauscht in meinen Ohren.
»Sie spucken beim Sprechen«, erkläre ich mit
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