Nicht die Bohne!
Auto gewohnt. Und das ist nur ein kurzer Auszug aus seinem Leben.
Tom ist nämlich grundsätzlich erst mal dagegen. Gegen die Welt, gegen das Universum, gegen Kastor-Transporte, friedliche Auseinandersetzungen und viele andere Dinge. Wenn er nicht gerade dagegen ist, ist er ungefähr so kommunikativ wie eine Raufasertapete, was mich allerdings nicht daran hindert, meinen großen Bruder heiß und innig zu lieben. Weil er bisher zuverlässig jeden verdroschen hat, der mir Böses wollte, und weil er auch heute noch in der Lage ist, komplizierte Sachverhalte auf einen einfachen Nenner herunterzubrechen: Arsch oder kein Arsch, gut oder böse. Das hilft im Leben manchmal doch enorm.
Bis auf sprechen kann er außerdem alles, was ein echter Mann so können sollte: Autos reparieren, sich wirkungsvoll prügeln, saufen wie ein Loch, sämtliche technischen Anlagen dieser Welt reparieren und bei Star Wars die Klappe halten und nur gucken.
Tom ist einfach immer da, wenn ich ihn brauche. Ganz tief in seinem Innersten ist er nämlich ein herzensguter und höchst sensibler Kerl. Manchmal finden auch andere Frauen das heraus, und prompt verliebt Tom sich. Das passiert häufiger und endete bis jetzt immer mit mindestens einem gebrochenen Herzen – was unter anderem an Toms generellen Wortfindungsstörungen liegen könnte. Frauen wollen dann ja doch ein Mindestmaß an Kommunikation in einer Beziehung.
Es klingelt unendlich lange, dann knurrt er mir ein böses »Mhhm?« ins Ohr.
»Tom. Notfall. Kannst du kommen?« Im Umgang mit ihm ist jedes nicht unbedingt notwendige Wort eins zu viel.
»Nein. Hab zu tun.« Unsere üblichen Kommunikationsstrukturen. Ich will was von ihm, und aus Prinzip will er es erst mal nicht. Völlig normal.
»Doch. Ist ganz schlimm«, beharre ich.
»Bist du schwanger oder was?«, grunzt er, und ich kann hören, wie er sich aus dem Bett rollt. Mein Bruder arbeitet nur dann, wenn es notwendig ist. Da er einen schlichten Lebensstil hat, ist das nicht allzu oft der Fall.
»Bingo«, sage ich kläglich und fange wieder an zu weinen.
»Oh scheiße. Hmmpf. Ich komme rum.« Damit legt er auf und steht tatsächlich eine halbe Stunde später vor meiner Tür.
Wie üblich ist er der Jahreszeit nicht angemessen gekleidet. Draußen ist es nasskalt, und er trägt nur eine dünne Lederjacke mit einem T- Shirt darunter und dazu eine durchlöcherte Jeans. Dafür hat er eine neue Brille, die ihn aussehen lässt wie Harry Potter nach der Pubertät. Bevor ich dazu komme, eine bewundernde Bemerkung von mir zu geben, knurrt er mich an – seine bevorzugte Art der Lautäußerung – und läuft kommentarlos an mir vorbei in die Küche.
»Wer war es?«, fragt er, während er sich auf einen der Stühle fallen lässt.
»Olaf.«
»Oh nein. Der Typ ist so unfassbar dämlich. Seid ihr wieder zusammen?«
Ja, es gab in der Vergangenheit schon den ein oder anderen Hinweis, dass er mit meiner Partnerwahl nicht ganz einverstanden war. Jetzt ist es wohl offiziell.
»Nein, und es war ein Unfall«, fasse ich das Geschehene kurz und prägnant zusammen.
»Das ist ja mal richtig beschissen«, sagt er und legt den Kopf auf die Tischplatte.
»Genau«, bestätige ich.
»Ach, Paula, du machst manchmal echt blöde Dinge«, seufzt er und hebt den Kopf wieder. Ich setze mich ihm gegenüber, ziehe die Beine auf den Stuhl und falte die Hände vor den Knien.
»Was willst du tun?«
»Ich bleibe schwanger«, antworte ich trotzig, und ein Grinsen huscht über Toms Gesicht.
»Noch ein Gör.« Jetzt lacht Tom – er mag Kinder, und Kinder mögen ihn. Eine seiner Exfreundinnen (sie kommen und gehen, daher sind mir die Namen der meisten mittlerweile leider entfallen) hat mal behauptet, Tom befände sich auf dem Entwicklungsstand eines Fünfjährigen, und genau das fänden Kinder automatisch faszinierend.
»Ich lebe in schwierigen persönlichen Verhältnissen«, fauche ich ihn an. Schließlich ist das hier keine Vorbildschwangerschaft à la Andrea.
»Kleine Schwester, Menschen in den Slums von Brasilien leben in schwierigen persönlichen Verhältnissen. Du hast Mama, Papa, Andrea, von mir aus auch Schwägerchen Johannes das Weichei und mich. Das sind keine schwierigen persönlichen Verhältnisse, das ist grandios. Also ich freu mich.«
So einfach ist das Leben für meinen Bruder. Als ich wieder anfange zu weinen, nimmt er mich in seine starken Arme und sagt: »Heul nicht, Schwester. Du bist doch nicht alleine.«
Kapitel 5
Ich bin aber erst mal
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