Nicht die Bohne!
aufgesprungen. Sie murmelt etwas von »Kunstfehlern« und anderen schlimmen Dingen und lässt sich nicht mehr abschütteln. Auch nicht, als ich den Auftrag erhalte, einen Urinbecher zu füllen. Nun gut, wir sind Mädchen, und zusammen aufs Klo zu gehen ist für uns nicht allzu problematisch. Dafür machen die Sprechstundenhilfen große Augen. Vermutlich glauben sie, wir seien ein Paar. Kann ich ihnen nicht verdenken, einen Kindsvater habe ich ja, im Gegensatz zu neunundneunzig Prozent aller Schwangeren in dieser Praxis, noch nicht präsentiert.
Als wir endlich ins gynäkologische Heiligtum vorgelassen werden, wirkt Mara mit ihrer Gucci-Handtasche in SUV -Größe und dem Star-Banker-Auftreten so deplatziert wie ein Gänseblümchen auf der Autobahn.
»Ich bin die Schwester!«, raunt sie Dr. Ganter entgegen, als er endlich die Bühne betritt. Vermutlich hat sie Sorge, sonst den Raum wieder verlassen zu müssen. Wohl zu viele Arztserien geschaut.
»Wir sind hier nicht auf der Intensivstation«, flüstere ich, und sie wirft mir einen düsteren Blick zu.
»So, dann wollen wir mal«, verkündet Dr. Ganter fröhlich wie immer. »Gut sehen sie aus, Frau Schmidt«, fügt er hinzu und guckt mir dabei auf die Brüste.
»Danke«, antworte ich und zerre kurz meine Strickjacke zurecht. Ich genieße es, Brüste zu haben. Auch wenn diese Freude mit einem schon fast an Hysterie grenzenden Kontrollzwang einhergeht. Letzte Woche habe ich sie wieder festgetapt, weil ich eine ausgeschnittene Bluse getragen habe. Die potenziellen Fluchtmöglichkeiten waren bei diesem Ausschnitt einfach zu groß.
»Na dann machen Sie sich mal frei.« Mara gibt ein leicht ersticktes Geräusch von sich, woraufhin Dr. Ganter ruft: »Nein, falsch! Heute können wir ja schon über den Bauch gucken!«
Mara seufzt erleichtert auf. Anderen Frauen beim Beine-breit-Machen zuzuschauen erschöpft ihre Loyalität dann doch. Ich lege mich also voll angekleidet auf die Liege und zerre mein Shirt nach oben und die Hose etwas nach unten. Dr. Ganter verteilt mit einem vorfreudigen Lächeln das Glibbergel auf meinem Bauch und verreibt es mit dem Kopf des Ultraschallgerätes. Dieses Ding kostet im Einkauf bestimmt an die hunderttausend Euro und kann dafür fast alles. Viele Frauen aus umliegenden Praxen kommen extra zum Ultraschall zu ihm. Weil sein Gerät und er so gut sind. Dr. Ganter ist eben auch nur ein Mann.
»So, 20 plus 6«, murmelt er.
»Zwanzig Wochen und sechs Tage«, übersetze ich kurz für Mara, die sich am Fußende der Liege positioniert hat. Dann blicke ich wie gebannt auf den Bildschirm.
Und … da ist sie. Huch – die Bohne sieht aus wie ein echter Mensch! Hände, Füße, Kopf und sogar eine Wirbelsäule sind auf dem Ultraschallbild deutlich zu erkennen. Während Dr. Ganter wie wild an der Bohne herummisst und uns mit Zahlen bombardiert, werfe ich Mara einen vorsichtigen Blick zu. Diese Welt ist für sie genauso neu, wie sie es vor zwanzig Wochen und sechs Tagen für mich war. Unsere Blicke treffen sich, und in Maras Augen leuchtet etwas auf. Sie grinst mich an, und ich grinse zurück. Ihre erste Bekanntschaft mit meinem Kind. Sie drückt mir den Knöchel, der einzige Körperteil, der in Reichweite ist, und ich blicke wieder auf die Bohne.
Es geht ihr gut, das ist das Einzige, was ich mitbekomme. Sie schwimmt mopsfidel in meinem Uterus und scheint unbeeindruckt von der Wohnungsnot und den schwierigen persönlichen Verhältnissen ihrer Mutter.
»Wunderbar, Frau Schmidt.« Dr. Ganter wischt meinen Bauch mit einem Papiertuch notdürftig trocken. »Noch Fragen?«
Ich schüttle den Kopf, und Mara ergreift das Wort. »Das Kind ist also normal groß und normal schwer? Wann soll meine Schwester denn mit einem dieser Kurse anfangen? Und wo meldet man sich zur Entbindung an, und wann muss man das tun? Gibt es noch irgendwelche besonderen Untersuchungen, die Sie empfehlen können?«
Mein Gynäkologe runzelt ob des strengen Tons leicht die Stirn. »Äh«, sagt er und lässt sich wieder auf seinen kleinen Rollhocker plumpsen, den er schon verlassen wollte. »Also, dem Kind geht es gut. Es ist ungefähr vierzehn Zentimeter groß, und alles ist dran. Zu einem Schwangerschaftskurs sollten Sie sich bald anmelden, damit Sie noch einen Platz bekommen, und wegen der Entbindung können Sie sich mal die Krankenhäuser hier in der Gegend anschauen, welches da Ihren Vorstellungen entspricht. Die machen sehr oft Besichtigungstermine der Kreißsäle. Wobei das
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