Nicht die Bohne!
Mantra, als sie mir die Kamera lieh, lautete: Kein Wasser auf der Linse!) Und aus reiner Zweckmäßigkeit bin ich dann noch in den Wintermantel von Edgar geschlüpft, der mir an den Schultern viel zu weit und an den Ärmeln viel zu kurz ist. Außerdem ist dieser Mantel in den freundlichen Farben Schlammgrün und Kackbraun gehalten, was den Gesamteindruck doch erheblich beeinträchtigt. Kurz: Ich sah ziemlich scheiße aus, dafür ist die Kamera trocken geblieben und mein eigener Kaschmirwintermantel sauber. Leider hat Elena dieses optische Desaster für die Nachwelt festgehalten, weswegen ich von einem Foto von mir auf unserer Internetseite absehen werde.
Mittags gibt es Buchweizenpfannkuchen mit selbst gekochtem Apfelmus, und ich fühle mich hinterher so satt, als hätte ich ein halbes Schwein auf Toast vertilgt. Auf meinem Weg zurück ins Büro laufe ich wieder an den Kisten vorbei. Etwas verärgert fällt mir ein, dass ich immer noch niemanden um Hilfe gebeten habe, aber im nächsten Moment nimmt ein Anruf von Herrn Dr. Morgenroth meine Aufmerksamkeit in Beschlag, sodass ich es wieder vergesse.
Gegen vier werde ich erst von Edgar, dann von Alina an meinen bereits stattfindenden Feierabend erinnert. Um halb fünf steckt Elena, die sich offenbar wieder im Normal-Modus befindet, den Kopf durch die Tür und sagt mit strenger Stimme: »Geh jetzt nach Hause!« Da ich Angst habe, sie könnte auch nach mir mit harten Gegenständen werfen, beuge ich mich ihrer Autorität und packe meine Sachen.
Es ist immer noch eisig kalt, und ich beschließe, auf dem Nachhauseweg an meiner Stammtankstelle eine Packung Schokoladenkekse zu kaufen. Fett und Zucker helfen ja erwiesenermaßen gegen Nöte aller Art. Arschkaltes Wetter wird wohl auch in diese Kategorie fallen. Kaum habe ich meinen Golf geparkt, stürzt Michael Krüger, der Tankstellenpächter, um die Ecke.
»Hallo, Frau Schmidt«, begrüßt er mich entzückt und beginnt zügig, meine Windschutzscheibe mit einem Schwamm zu säubern.
Es ist nicht so, als hätte ich ihn darum gebeten oder als wäre dies ein standardmäßiger Service der Tankstelle. Genauso wenig wie das regelmäßige Überprüfen des Reifendrucks sowie des Ölstands. Es ist seltsam, aber seitdem ich schwanger bin, kümmert sich dieser Mann, der bis Oktober letzten Jahres noch nicht einmal meinen Namen kannte, so rührend um mein Auto wie um einen Säugling. Ich grüble nach wie vor, ob ich vielleicht unwissentlich irgendeine Autopflege-Flatrate bei ihm abgeschlossen habe, anders ist dieses Verhalten nicht zu erklären. Auch der Bohnen-Bauch kann nicht der Grund sein, den sieht man unter dem dicken Wintermantel nämlich gar nicht.
Als ich mit den Schokokeksen unterm Arm den Tankstellenshop wieder verlasse, ist Herr Krüger gerade dabei, liebevoll und unter vollem Körpereinsatz meine Windschutzscheibe mit einem Lederlappen zu massieren. Er schenkt mir ein verschwörerisches Lächeln, was in seinem hageren Gesicht etwas grotesk aussieht, und hält mir galant die Fahrertür auf.
»Danke!«, flöte ich und stecke mir noch im Auto den ersten Keks in den Mund.
Herr Krüger, der Postbote, mein Nachbar von unten links und Herr Dr. Morgenroth verhalten sich allesamt ausgesprochen seltsam, seitdem die Bohne meinen Uterus bewohnt. Nun gut, Herrn Dr. Morgenroth kenne ich überhaupt erst seitdem, vielleicht kann ich ihn deshalb in die Gesamtkalkulation nicht mit einbeziehen, aber alle anderen sind definitiv komisch drauf.
Am Abend kommt Tom vorbei. Er hat schweren Liebeskummer. Carola hat ihn verlassen. Was ich natürlich für eine absolute Schweinerei halte, obwohl ich Carola ehrlich gesagt nie kennengelernt habe. Sie war nur für acht kurze Wochen Toms Freundin. Nummer zweiundsiebzig, glaube ich.
Ich füttere meinen leidenden Bruder mit Schokoladenkeksen, Averna und Oliven, bis ihm schlecht ist. Somit ist er zumindest vorerst abgelenkt von seinem emotionalen Leid. Gegen elf schnauft er einmal auf und hievt sich von meinem Sofa.
»Ich muss jetzt etwas Zukunftsorientiertes machen!«, verkündet er in tief deprimiertem Tonfall und schnappt sich meinen Laptop.
Die Zukunftsorientierung besteht darin, nach einem Kinderwagen für die Bohne zu suchen. Und einem Kinderbett, einem Windeleimer, einer Badewanne sowie einem Badethermometer und einer Spieluhr. Dann informieren wir uns noch über kleinkindliches Fieber, Masern und Mumps, Laufställe und Steckdosensicherungen. Bis auf die Spieluhr und eine sehr hübsche
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