Nicht die Bohne!
Tischler des Jahres lässt sich zwar durch meine Anwesenheit nicht in seiner Produktivität bremsen, hört mir aber sehr aufmerksam zu und stellt dann auch noch gezielte Fragen zu meinem Leben. Außerdem ist er in der Lage, die von mir gelieferten Informationen über einen langen Zeitraum in seinem Gedächtnis zu parken und sie bei Bedarf wieder abzurufen. Das ist doch mal etwas ganz Neues für mich.
Olaf hat mir nie zugehört, zumindest nicht freiwillig, und ihm war auch nach fünf Jahren gemeinsamen Lebenswegs immer noch nicht klar, dass ich rote Paprika, Fanta und Skiurlaube zutiefst verabscheue. Nur so lässt sich erklären, warum er mir zu unserem letzten gemeinsamen Weihnachten glückstrahlend eine Reise nach Kaprun einschließlich Skipass und Gutschein für das Mieten einer kompletten Ausrüstung schenkte. Hallo! Dort gibt es Berge und einen Gletscher, und es ist saukalt. Kein guter Aufenthaltsort für jemanden, der sowohl Kälte als auch Skifahren wirklich doof findet.
Und wenn ich mal faul auf dem Sofa lag und ihn bat, mir aus der Küche etwas zu trinken mitzubringen, konnte ich mir sicher sein, ein Glas des gelben Grauens überreicht zu bekommen. Aber wie das so ist in langen Beziehungen, man arrangiert sich eben mit so manchem.
Simon hingegen weiß sogar, in welcher Schwangerschaftswoche ich bin, und das verändert sich ja nun aus gegebenem Anlass regelmäßig. Da ich viel Zeit bei ihm in der Werkstatt verbringe, kennt Simon mittlerweile nicht nur meine aktuelle SSW – Muttermund heißt im Schwangerschaftsslang übrigens MuMu, krasse Sache! –, sondern überhaupt ziemlich viele Details meines Lebens. Wohingegen ich um nur zwei Sachinformationen reicher bin als vorher: Simons Nachname lautet Sternberg, was durchaus akzeptabel ist, wie ich finde, und er ist vierunddreißig Jahre alt. Der Grund dafür ist folgender: Simon verfügt nicht nur über grandiose Zuhörerqualitäten, sondern auch über die Fähigkeit, persönliche Fragen sofort umzudrehen und an den Absender zurückzuschicken. Leider so geschickt, dass mir dies oft erst auf dem Weg nach Hause auffällt.
Zusammenfassend gesagt: Er weiß viel über mich, ich wenig über ihn, aber ich fühle mich sauwohl in seiner Gegenwart. Dieses entspannte Zusammensein löst etwas ganz Besonderes in mir aus: Ich fühle mich das erste Mal, seitdem ich das mütterliche Heim verlassen habe, geborgen. Was sehr seltsam ist, weil mir gar nicht bewusst war, dass mir Geborgenheit gefehlt hat.
Dabei ist Simon auf den ersten Blick gar nicht so der fürsorgliche Typ. Vielmehr hat er eine sehr nüchterne und sachliche Art, das Leben zu betrachten. Meins, wohlgemerkt. Und er nimmt mich unfassbar ernst und forscht so lange nach, bis er meint, mich wirklich verstanden zu haben. Wir führen, ich kann es nicht anders sagen, sehr tiefsinnige Gespräche. Wenn wir nicht gerade groben Unfug verzapfen und uns vor Lachen auf dem sägemehlbedeckten Fußboden wälzen. Um ehrlich zu sein, wälze meistens ich mich, was ursächlich mit Simons trockenen Humor zusammenhängt.
Auch Elena ist erfreut, dass Simon und ich uns so gut verstehen, lässt sich jedoch nicht als Informationsquelle anzapfen. Sobald ich beginne, nach tiefer gehenden Daten über Simon Sternberg zu forschen, blockt sie ab und sagt freundlich, aber bestimmt: »Das muss er dir alles selber erzählen.«
Mittlerweile ist es bereits Anfang März, und ich habe einen aufregenden und hektischen Tag hinter mir. Unsere neue Internetseite hat ihren Probelauf gut gemeistert und kann endlich online gehen. Das wird auch langsam Zeit und hätte schon viel früher passieren sollen, aber irgendwelche technischen Probleme haben es mir unmöglich gemacht, sie ins Netz zu stellen. Dafür habe ich mittlerweile sämtliche Bioläden, Apotheken, Kinderärzte, Heilpraktiker und Buchläden aufgesucht und überall um Auslage unseres kleinen Flyers gebeten, den ich mir in handlichen Stapeln nach und nach aus den tonnenschweren Kartons geholt habe, die es noch immer nicht in mein Büro geschafft haben. Bei meinen Touren durch die Geschäfte ist mir übrigens etwas Interessantes aufgefallen: War der Bohnen-Bauch gut sichtbar, durfte ich jedes Mal meine Flyer dalassen. Hatte ich jedoch den Mantel geschlossen, gab es ziemlich viele Absagen – man hatte keinen Platz, keine Kunden, die das interessiert, oder schlicht keine Zeit für ein Gespräch mit mir. Sehr interessant. Ob die Bohne mich glaub- und vertrauenswürdiger wirken lässt? Und ob dieser
Weitere Kostenlose Bücher