Nicht die Bohne!
Zustand anhalten wird, wenn ich sie im Kinderwagen mit mir führe?
Nachdem die gesamte Stadt nun flächendeckend mit Informationen über uns versorgt ist, habe ich immer noch fünftausend Flyer übrig, die nach wie vor auf dem Treppenabsatz ausharren. Um halb sechs laufe ich mit zwei dampfenden Teebechern an ihnen vorbei zu Simons Werkstatt und setze mich wie immer auf das bequeme, ausgeleierte, popelgrüne Sofa gegenüber der Werkbank.
Entspannt lege ich die Füße hoch und beobachte den großen blonden Mann bei seiner Arbeit. Anderen Menschen bei der Arbeit zuschauen habe ich, die fleißige Arbeitsbiene, früher nie gekonnt. Hier bleibt mir allerdings gar keine andere Wahl: Alles, was Simon kann, kann ich definitiv nicht. Er geht mit Holz um wie ich mit einer Exceltabelle oder Lippenstift und Eyeliner. Seine Bewegungen sind geschmeidig und kraftvoll, und ich gebe es ja nur ungern zu, aber ich finde es fast schon erotisch, wenn er in seinen abgetragenen Schreinerhosen und dem engen Shirt an seiner Werkbank Tischbeine drechselt oder widerspenstigen Holzbohlen mit dem Hobel zu Leibe rückt.
Ich liege also dort herum, nippe an meinem Tee, geiere den Tischler des Jahres an und denke das erste Mal an diesem Tag an gar nichts.
In Gedanken plaudere ich ein wenig mit der Bohne. Diesmal erzähle ich ihr keine schmutzigen Witze, sondern sinniere über meine Abscheu gegen das kalte Wetter und die Vorfreude, dass schon Hochsommer sein wird, wenn sie endlich ihre Behausung verlässt. Dann muss Harry auch endlich keine Kaninchen mehr schlachten, ich muss mein Auto nicht mehr jeden Morgen von Eis und Schnee befreien und … ich werde in einer kleinkind- und müttergefährdenden Wohnung hausen und in schwierigen persönlichen Verhältnissen leben.
Ja, da ist es wieder. Eins meiner anhänglichsten Probleme. Ich fange umgehend mit der Grübelei an, als sich in meinem Bauch etwas tut. Ein … Gefühl. Vielleicht ein Pups? Angefühlt hat es sich allerdings mehr nach einem leicht irren Schmetterling, der zwischen meiner Wirbelsäule und der Bauchdecke herumflattert.
»Paula?« Ich öffne erschrocken die Augen und blicke in Simons besorgtes Gesicht. »Alles okay?«, fragt er leise und greift vorsichtig nach meiner Hand, die ich auf meinem Bauch abgelegt habe. So viel Körperkontakt hatten wir noch nie, und das verwirrt mich neben der Pups- oder Schmetterlings-Frage noch zusätzlich. Ich gebe ein unweibliches Grunzen von mir und versuche mich schnell zu sortieren.
O mein Gott, das muss die Bohne gewesen sein! Diesmal habe ich nämlich den Schwangerschaftsratgeber schon prophylaktisch bis zur zwanzigsten Woche gelesen und meine mich erinnern zu können, dass jetzt die ersten Kindsbewegungen von der Schwangeren, also mir, gespürt werden könnten.
»O mein Gott!«, stöhne ich theatralisch, einfach weil mir danach ist. Was für ein denkwürdiger und monumentaler Moment: Ich spüre mein Kind!
»Paula, was ist los?« Simons Stimme hat jetzt einen drängenden Unterton, und er sieht mich wirklich sehr ernst an.
»Ich hab die Bohne gespürt!«, antworte ich schnell, und er blinzelt einmal kurz. Was bei seinen hübschen braunen Augen einen wahrlich dramatischen Effekt hat. Passt somit gut zur Gesamtsituation, finde ich, und lächle ein wenig debil.
Und ganz plötzlich passiert in Simons Gesicht etwas Seltsames. Es beginnt an den Augen und zieht sich dann langsam bis zu seinen Mundwinkeln: Er lacht, so breit, dass Grübchen in seinen Wangen auftauchen. Über sehr ernst und freundlich zugetan hinaus habe ich bis jetzt noch keine so intensive Mimik in seinem Gesicht beobachten können. Wow, er freut sich mit mir.
Ergriffen schnelle ich aus der liegenden Position hoch und schlinge meine Arme um seinen Oberkörper. Da wir uns ja bisher noch nicht einmal die Hand gegeben haben, könnte ich es durchaus verstehen, wenn ihn diese spontane Bekundung positiver Gefühle verschrecken würde. Doch das passiert nicht. Stattdessen rutscht er etwas ungelenk neben mich aufs Sofa und zieht mich in seine Arme.
Und das ist einfach nur schön. Punkt. Keine weiteren Kommentare.
Wir harren so lange in dieser Position aus, bis mir die linke Pobacke einschläft, dann lehne ich mich etwas zurück und schaue Simon ins Gesicht. »Danke!«, sage ich aus tiefstem Herzen und wische mir schnell eine Träne von der Wange, die sich hinterlistig aus meinem Augenwinkel ihren Weg gen Kinn bahnt.
»Wofür?«, fragt er leise zurück, und ich kann echte Verwirrung in
Weitere Kostenlose Bücher