Nicht die Bohne!
Gewaltopfers mit dem Fuß zur Seite.
»Ich mach das gleich weg«, sagt Simon und klingt schon etwas besser. Ich drücke ihm die dampfende Tasse in die Hand und setze mich neben ihn.
»Das war, äh, sehr beeindruckend«, sage ich.
»Elena ist manchmal eine Elementargewalt«, erwidert Simon mit einem tiefen Seufzer.
Und dann sitzen wir beisammen und führen ein Gespräch. Das haben wir bis jetzt noch nie getan, und ich hätte es nicht für möglich gehalten, dass wir jemals die Gelegenheit dazu haben würden. Der schweigsame Simon spricht mit mir. Nicht dass wir den Streit mit Elena auch nur ansatzweise tangieren, o nein! Aber wir sprechen über Holz, sein Auto, mein Auto, meinen Job, seinen Job und sogar über die Bohne. Das Ganze ist so nett, dass ich total vergesse, mich an meinen Arbeitsplatz zu begeben, und das ist mir wirklich noch nie passiert.
Ich komme nicht umhin, den schweigsamen, unpünktlichen, unzuverlässigen Simon zu mögen. Auf eine seltsame und mir unbekannte Art und Weise. Darüber hinaus kann ich mich nun, da er direkt neben mir sitzt, an seinen großen braunen Augen und den männlichen Wangenknochen gar nicht sattsehen. Sehr hübsch finde ich auch die kleinen, scheinbar wahllos über sein Gesicht verteilten Sommersprossen. Die waren mir bisher noch nicht aufgefallen. Die Dinger sind aber auch mikroskopisch klein, und bis jetzt lagen immer mindestens anderthalb Meter Distanz zwischen uns. Und am besten finde ich, dass Simon die beträchtliche Attraktivität seines Gesichts offenbar gar nicht bewusst ist.
Schöne Männer sind ja oft unfassbar nervige und selbstverliebte Geschöpfe. Sind sie schwul, mag das noch akzeptabel sein, weil sie mit ihrem Wahn die eigene Optik betreffend die weibliche Welt unbehelligt lassen. Wenn aber Frauen zum Beuteschema eines Schönlings gehören, wird es schwierig.
Eine Grundregel in meinem Leben besagt: Triff dich NIE mit einem Mann, der über mehr Haut- und Haarpflegeprodukte verfügt als du selbst. Das wird innerhalb von wenigen Tagen zu anstrengend. Kein Mann sollte im Bad länger brauchen als frau selbst. Und sollte er dann noch in regelmäßigen Abständen eine Gesichtsmaske auflegen: Sofortiger Rückzug!
Simon sieht allerdings so aus, als würde er nur über eine Zahnbürste und irgendein neutral duftendes Duschgel verfügen. Vielleicht wäscht er sich aber auch mit Kernseife. Er riecht nämlich sehr männlich, lecker. Gedankenverloren schnuppere ich, und so entgeht mir fast das Schlussstatement des hübschen Mannes vor meiner Nase: »Danke.«
Er nickt mir ernst zu und erhebt sich etwas steif vom Tisch.
»Bitte«, antworte ich schnell und folge seinem Beispiel.
Simon verschwindet leicht humpelnd aus der Tür. Ob er sich doch verletzt hat? Vielleicht hat Elenas Wurfgeschoss ihn ja getroffen, bevor es am Boden zerschellt ist? Aber ehe ich ihm hinterherrufen kann, ist er verschwunden, und ich koche mir einen Tee. Auf der Treppe stehen diverse Kartons, die ich vorher im Eifer des Gefechts gar nicht wahrgenommen habe. Das müssen meine Flyer sein, denke ich mir freudig und versuche mir einen Karton unter den Arm zu klemmen, schaffe es aber noch nicht einmal, das quadratische Paket vom Boden zu heben. Nix für Schwangere, entscheide ich und laufe weiter in mein Büro. Da ich in letzter Zeit zur Vergesslichkeit neige, beschrifte ich gleich einen gilligelben Post-it-Zettel und klebe ihn mittig an die Tür. »Flyer hochtragen!«
Irgendjemand wird sich schon finden. Den restlichen Vormittag bastele ich weiter an der Internetseite und lade die vielen Fotos hoch, die ich in den letzten Tagen von der Öko-Kommune geschossen habe. Ich bin hochzufrieden mit der Ausbeute, die ich mit Maras Mega-Hightechkamera geschossen habe. Bis auf Harry, der sich gerade wieder akut in einer Kaninchen-Trauerphase befindet, sehen alle Hofbewohner sehr ansehnlich aus. Überhaupt kommt der ganze Betrieb hochprofessionell rüber. Selbst die Kühe und Ziegen, die sich mit Hörnern und Hufen gegen ein Foto gewehrt haben, wirken zufrieden und glücklich mit ihrem Leben.
Die einzige etwas verwegen aussehende Person auf diesen ganzen Fotos bin leider ich. Es mangelt nicht am Lächeln, eher an der Optik. Ich habe an diesem Tag einen langen, grauen Rollkragenpullover und meine geliebten Schwangerschaftsjeans getragen. Als Accessoires hatte ich mir die gelben Gummistiefel (es bestand eine gewisse Notwendigkeit dazu, denn es regnete) und einen alten Strohhut von Elena ausgeliehen. (Maras
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