Nicht die Bohne!
sehr beherzt damit, uns mit den nackten Tatsachen eines amputierten Beines und eines schwangeren Bauches zu befassen.
Und dann haben wir endlich Sex. Wunderbaren, liebevollen und leidenschaftlichen Geschlechtsverkehr, der damit endet, dass Simon sich zwei Stunden später erschöpft an meine Schulter kuschelt, während ich versonnen an die Decke starre.
Ich bin ebenfalls erschöpft, aber doch zu aufgedreht, um einschlafen zu können. Meine Gedanken kreisen wie kleine wilde Spatzen durch meinen Kopf, und ich fühle mich sauwohl. Diese zwei Stunden waren der Hammer. Nun ist es nicht so, dass ich in den vergangenen Jahren nicht schon guten Sex gehabt hätte. Aber mir ist noch nie in meinem Leben dermaßen gehuldigt worden. So rein sexuell betrachtet.
Simon ist im Bett ein echter Charmeur. Ich fühle mich schön wie nie und werfe kurz einen misstrauischen Blick vor das Bett, ob bereits der rote Teppich für mich bereitet wurde.
Versonnen fahre ich mit den Fingerspitzen über Simons Gesicht, was ihm ein ganz kleines Lächeln entlockt. Er sieht plötzlich jünger aus. Das könnte daran liegen, dass er ansonsten immer leicht angespannt durchs Leben wandert. Was er erlebt hat, hat Spuren hinterlassen. Doch hier und jetzt ist er entspannt, und das spiegelt sich in seinem Gesicht wider. Seine Züge wirken weich.
Simons Geschichte hat mich tief berührt. Wenn ich schon dachte, in schwierigen persönlichen Verhältnissen zu leben, ist das ein Krümel gegen Simons Lebenslauf. Er kommt aus »gutem Hause« und ist der vierte Sohn einer Reederei-Familie aus Hamburg. Knete ohne Ende, Villa in Blankenese und all dieses Gedöns. Leider traf Simon das Los, der verträumteste und zielloseste seiner Brüder zu sein. Schwierig, wenn es drei bombige Vorlagen gibt. Seine Ausbildung zum Tischler wurde dementsprechend hart kritisiert. Klar, der Rest der Sippe tummelt sich unter den Anwälten und Ärzten, spielt Golf und fährt Mercedes, da ist so ein kleiner Schreinergeselle schwer zu verkraften. Erst als er versprach, nach der Ausbildung ein Architektur-Studium zu beginnen, wurde seine Entscheidung akzeptiert. Nach Abschluss der Ausbildung begann er dann tatsächlich besagtes Studium, jobbte aber weiterhin in seinem Ausbildungsbetrieb, einem großen Holz verarbeitenden Laden in der Nähe von Hamburg. Simon war einfach zu stolz, um sich von seinen Eltern das Studium bezahlen zu lassen. Er wollte unabhängig sein.
Als der Unfall passierte, stand er kurz vor dem Abschluss. In den Hallen dieses Betriebes werden riesige Holzstämme mithilfe von großen Kränen von einer Maschine zur nächsten transportiert. Ein Stamm löste sich aus der Verankerung und begrub Simon unter sich. Und mit ihm sein ganzes bisheriges Leben.
Seine Eltern waren ihm in der Zeit nach dem Unfall keine große Hilfe. Vor allem sein Vater vertrat die Meinung, dass er nicht dort hätte arbeiten müssen und somit selbst schuld sei. Schließlich hätten sie mehrfach angeboten, ihm das Studium zu finanzieren. Außerdem sei es heutzutage kein Problem mehr, mit einer Prothese zu leben. Wenn Bein ab, dann neues dran und weiter geht’s.
Aber so einfach ist der Verlust eines Beines nicht zu verkraften. Simon litt unter starken Phantomschmerzen und kam mit der Prothese so rein gar nicht zurecht. Dazu soff er wie ein Loch – seine Worte, nicht meine –, was sich mit den diversen Schmerzmitteln nicht gut vertrug. Kurz: Völlige Scheißzeit.
Irgendwann bekam er dann seine neue Prothese. Ihr Name ist C-Leg, und sie kann Dinge, die andere Prothesen nicht können. Der Ferrari unter den Beinprothesen sozusagen. Damit ging es ihm besser. Lange noch nicht gut, aber zumindest war er nicht mehr dauerhaft deprimiert und/oder betrunken. Über einen gemeinsamen Freund traf er Elena, die ihn kurzerhand fragte, ob er nicht auf dem Hof die Tischlerarbeiten übernehmen wolle. Er sagte zu, und so schließt sich der Kreis.
Seit dem Unfall gab es auch keine Frau mehr in seinem Leben. Das begründet er damit, dass er ja so viele Dinge nicht mehr kann. Nach wie vor bin ich etwas ratlos, was das alles sein könnte, außer auf Leitern zu klettern – wobei ich da auch eher eine verkappte Höhenphobie vermute als ein wirkliches körperliches Problem.
Ich betrachte Simon, und plötzlich fällt mir etwas ein. »Ich glaube, diese Dinge, die du nicht mehr kannst, sind alle nur in deinem Kopf.«
Simon öffnet die Augen, sagt jedoch erst mal nichts. Er scheint nachzudenken. »Vielleicht stimmt das«,
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