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Nicht die Welt (German Edition)

Nicht die Welt (German Edition)

Titel: Nicht die Welt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karsten Krepinsky
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wollte. Dabei saß er an einem großen Schreibtisch aus edlem Holz. Hinter ihm an der Wand hing das Zeichen des größten Unternehmens des Landes. Tatsächlich wollte er jedoch aus einem ganz anderen Grund zum Ministerium gelangen. In Neuwelt gab es Gerüchte über ein Papier, welches sich dort befinden sollte. Über den Inhalt wurde viel spekuliert, lediglich in einem Punkt waren sich alle einig: Man würde das Papier erkennen, wenn man es in den Händen hielt, ohne Zweifel, beim ersten Anblick. Seine Gemeinschaft in Neuwelt glaubte, dass das Papier die Macht besaß, das Land in eine glücklichere Zukunft führen zu können. Eine Zukunft, befreit von der erdrückenden Last der Vergangenheit. In Ruhe und Frieden. Das war sein eigentliches Ziel: das Papier. Aus keinem anderen Grund hätte er sich sonst solchen Gefahren ausgesetzt, vor allem nicht für einen Menschen wie seinen Auftraggeber. Nachdem er die junge Frau im Krankenhaus aus den Augen verloren hatte und über ihr Schicksal nicht Bescheid wusste, war er sich jedoch nicht mehr sicher, ob er noch zum Innenministerium gehen konnte. Braucht sie meine Hilfe? Schwebt sie überhaupt in Lebensgefahr?, waren die Fragen, die ihn von nun an beschäftigten.
     
    Ein wildes Knurren und Bellen war von der Straße zu hören. Er ging zum Fenster und blickte hinaus. Am Ende des Straßenzuges sah er ein Dutzend oder mehr verwilderte Hunde, die sich an einem Körper zu schaffen machten. Anscheinend war es ein Mensch, der am Boden lag. Er stürzte die Treppe hinunter, rannte nach draußen, die Straße entlang, wild rufend und seinen Elektrostock schwingend. Die Hunde bellten und knurrten, einige griffen ihn an, Lichtblitze zuckten, vielfaches Jaulen, dann war es vorbei. Einige Hunde lagen am Boden, die übrigen suchten das Weite. Er ging auf den Menschen zu, der leblos auf dem Kopfsteinpflaster lag. Es war ein alter Mann mit Bissen am Hals, an den Beinen und den Armen. Doch anscheinend war er schon vorher gestorben, denn die Leichenstarre hatte schon eingesetzt. Ein schreckliches Ende, von Hunden zerfleischt zu werden, dachte er. Er zog den Körper von der Straße in den nächsten Hauseingang hinein. In einer Wohnung im Erdgeschoss legte er ihn in eine Ecke und deckte ihn mit einer alten Matratze ab. Leider gab es keine Wohnungstür mehr, die er schließen konnte. So ließ er den Toten zurück und folgte der Straße weiter nach Süden, die ihn letztlich zum Fluss führen sollte.
     
    Seit zwei Jahrzehnten war er nicht mehr hier gewesen, doch trotz des Verfalls und der Zerstörungen in der Zwischenzeit schien ihm alles sehr vertraut zu sein. Plötzlich tauchte ein alter Mann mit einem fahlen, eingefallenen Gesicht vor ihm auf und hielt ihn am Arm fest. Der junge Mann erschrak und schob ihn von sich weg. »Lass‘ mich in Ruhe«, sagte er dabei. Der Alte kam wieder auf ihn zu. »Geh‘ weg, ich kann dir nicht helfen!«, schrie der junge Mann. »Ihr Alten, lasst uns Junge endlich in Ruhe. Ihr habt euch doch schuldig gemacht, nicht wir. Immer wieder wollt ihr eure Last auf unseren Schultern verteilen, aber es ist genug. Lasst uns unser Leben führen, wie wir es für richtig halten«, sagte er nun mehr zu sich selbst als zum Alten, den er seinem Elend überließ. Nicht hinsehen, weiter, immer weiter, dachte er. Er selbst musste überleben. Vor ihm lagen der Fluss und zu seiner Rechten die alte Brücke mit der Hochbahntrasse. Endlich, meine Rettung, jetzt nach oben, nur weg von der Straße, dachte er, als er die Stufen aus verrostetem Stahl hinauflief.

5.
    50 Meter. Noch außer Atem betrat der junge Mann die Endhaltestelle der Hochbahn. Offensichtlich hatte es hier einen schweren Unfall gegeben. Die Waggons waren wohl mit hohem Tempo eingefahren, ohne abgebremst worden zu sein. Sie hatten sich aus den Schienen gehoben, ineinander verkeilt und den Weg zur Trasse blockiert. Er stieg in einen Waggon ein, der sich etwas aufgetürmt hatte, und ging durch das Abteil bis zum Ende durch, wobei er sich mit den Händen an den Sitzen festhielt. Er öffnete eine Tür, ließ sich auf einen anderen Waggon darunter fallen, ging ein Stück auf dem Dach entlang und sprang schließlich hinunter auf die Trasse. Hierhin wird mir niemand folgen, so wie der Weg verstellt ist, dachte er, nachdem er zurückgeblickt hatte. Als er seine Ausrüstung überprüfte, bemerkte er, dass er seine Armbanduhr verloren hatte.
     
    Einige Meter über der Straße ging er nun auf der Trasse entlang, die ihn zum Runden

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