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Nicht die Welt (German Edition)

Nicht die Welt (German Edition)

Titel: Nicht die Welt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karsten Krepinsky
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wären die Infusionslösungen im Krankenhaus gewesen. Aber der Aufbruch war zu überhastet, um daran denken zu können. Die Wasserversorgung war von Anfang an ein wunder Punkt gewesen. Eigentlich hatte er gehofft, dass in der Stadt noch Flaschen mit abgefüllter Brause oder Bier zu finden wären. Doch die Läden waren vollständig leergeräumt oder die Flaschen auf den Boden geworfen worden und der Inhalt lange verdunstet. Es war naiv zu denken, dass es hier noch etwas zu trinken gab. Der Grad des Verfalls war in Wahrheit größer, als er befürchtet hatte. Er brach auf und folgte weiterhin dem Verlauf der Hochbahn. Die geringen Abstände der Bahnschwellen verkürzten seine Schritte und verlangsamten ihn. Er blickte nach unten und dachte nach: Weshalb laufe ich überhaupt auf den Schienen entlang? Ich hätte die junge Frau suchen müssen und mich nicht auf die aberwitzige Suche nach einem ominösen Papier begeben dürfen. Oder war es doch der ursprüngliche Auftrag? War es die Goldmünze, die mich lockte? Ging es einzig und allein ums Geld? Ich bin nicht besser als die anderen.
     
    Die Sonne stand jetzt hoch am Himmel, so dass es unter dem Schutzanzug unerträglich heiß wurde. Er schwitzte, die Kleidung klebte an seinem Körper und jeder Schritt wurde zur Qual. Schweißperlen liefen in seine Augen und an den Händen herunter. Jeden Augenblick fürchtete er, ohnmächtig zu werden. Auf keinen Fall darf ich meine Schutzkleidung ausziehen, dachte er. Ich will mich nicht kontaminieren, ich will leben, ich muss eine Eins bleiben. Ich muss stark sein. Ich habe noch so viel vor. Ihm war sehr übel und er überlegte, ob es von der Hitze käme, oder er nicht schon längst ein Opfer der Strahlung war. An einer Haltestelle der Hochbahn suchte er unter einem halb eingestürzten Dach etwas Schutz vor der Sonne. Ein Apfel war das Einzige, was er essen konnte, ohne dass sein Magen rebellierte. Kurz überlegte er, die Treppe der Haltestelle hinunterzusteigen, doch verwarf er diesen Gedanken wieder, weil er sich hier oben sicherer fühlte. Noch ein wenig auf den Schienen laufen, dachte er, bald muss ich auf jeden Fall nach unten, um etwas zu trinken zu suchen.
     
    Mit jedem weiteren Schritt auf den halb zugewachsenen Bahnschwellen verlor er ein Stück seiner Hoffnung und Entschlossenheit. In einer verlassenen Stadt wurde ein kurzer Weg zu einem unüberwindbaren Hindernis, gab es keine Sicherheit. Die eigentliche Herausforderung sollte für ihn erst im Innenministerium beginnen und jetzt sah es danach aus, dass er es nicht einmal bis dorthin schaffte. Vermutlich wäre es besser, einfach nach Neustadt zu gehen, ohne sich noch einmal umzudrehen, dachte er. Es war möglich, er hatte es selbst erlebt. Als Kind sah er mit eigenen Augen, wie seine Eltern und mit ihnen Millionen von Erwachsenen den Ballast zurückließen. Es war ganz einfach, ein neues Leben zu beginnen. Und manchmal eröffneten sich dadurch wundersame neue Möglichkeiten. Damals nach der Explosion gelang es der Alten Ordnung nicht mehr, Neustadt zum neuen Zentrum des Landes auszubauen. Ihre Macht erlosch langsam. Er selbst fürchtete in der Zeit seines Lebens, in der man sowieso alles in Frage stellt, das Neue nicht, er umarmte es und sehnte es sich herbei. Wie eine stillschweigende Übereinkunft, zu einem anderen Tagesordnungspunkt überzugehen, ohne den vorigen abgearbeitet zu haben, überließen sie die Alte Ordnung der Geschichte.
     
    Die Entscheidung, ob er die Trasse verlassen sollte, wurde dem jungen Mann abgenommen. Vor ihm war ein ganzer Abschnitt der Hochbahn herausgebrochen und zu Boden gestürzt. Vorsichtig stieg er an einem Stahlpfeiler hinunter auf die Straße. Nachdem er eine Zeit lang im Schatten der verrosteten Stahlkonstruktion weitergegangen war, tauchten mehrere alte Menschen auf dem Bürgersteig gegenüber auf, die kleine Wägelchen vor sich herschoben. Wie in einer Prozession zogen sie an ihm vorbei. An einer Bushaltestelle in der Nähe saß eine alte Frau, die immer wieder voller Ungeduld auf ihre Armbanduhr schaute und auf den Bus wartete, der schon lange nicht mehr kam. Mitten auf der Straße lag ein toter Wolf in seiner Blutlache. Die Hochbahntrasse folgte von nun an dem Verlauf des alten Kanals. Auf der anderen Seite der künstlich angelegten Wasserstraße sah er einen großen Backsteinbau mit einem wuchtigen Vierungsturm, der von schmalen Türmchen umgeben war. Ist eine Kirche meine Zuflucht?, fragte er sich. Auf jeden Fall sollte es im

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