Nicht die Welt (German Edition)
Inneren schön kühl sein. Ich muss mich ausruhen, neue Kräfte sammeln und vielleicht finde ich auch etwas zu trinken, dachte er. An der großen zweiflügligen Kirchentür hatte jemand einen Zettel angebracht. »Wenn du Gott nicht in dir trägst, wird er hier nicht sein«, stand darauf in ungelenker Schrift. Er öffnete die schwere Tür und betrat das Gebäude.
Tatsächlich war es im Inneren der Kirche angenehm kühl. Gut zwei Dutzend Menschen befanden sich hier, einige aßen an kleinen Tischen, andere ruhten sich auf den Kirchenbänken aus, doch niemand schien ihn zu bemerken. Es waren alles alte Menschen, junge erblickte er nicht. Er ging zum Altar, wo ein Mann in Priesterkleidung stand, nahm Maske und Schutzbrille ab und zog die Kapuze nach hinten. »Kann ich mich hier bitte kurz ausruhen, Priester?«
Der Priester drehte sich um und lachte. »Ich bin kein Priester und ja, natürlich kannst du dich hier ausruhen.«
»Aber du hast den ... Anzug eines Priesters an.«
»Nun, ich habe mich früher um den Kirchengarten gekümmert und nachdem der eigentliche Priester nicht zurückgekommen ist und jede Gemeinde nun mal einen Priester braucht, bin ich in seine Aufgabe hineingewachsen ... aber nicht sonderlich gut, wie du siehst«, sagte der Priester und lachte wieder herzhaft. Sein schwarzes Gewand war ihm ein wenig zu groß. Sie setzten sich auf die vordere Kirchenbank. »Aber erzähl‘ mir, was ein Säuberer so weit abseits des Weges macht?«, fragte der Priester.
»Ich bin kein Säuberer, ich habe mich nur in der Uniform der Säuberer hier einschleusen lassen«, wandte der junge Mann ein.
»Ha, die Bekleidung der Menschen bedeutet dieser Tage wahrhaftig nichts mehr. Kann ich dir etwas zu trinken anbieten, junger Freund?« Der junge Mann überlegte kurz, bis er schließlich fragte: »Ist es denn nicht kontaminiert?«
»Nein, nein, du brauchst keine Angst zu haben. Wir sammeln Regenwasser, das ist nur gering mit Spaltmaterial belastet. Du musst auch keine Angst vor Durchfall haben, da wir das Wasser mit besonderem Licht entkeimen. Wir sind hier sehr gut ausgerüstet, musst du wissen, haben auf dem Dach sogar Sonnenwandler.« Der Priester holte eine Flasche Wasser und gab sie dem jungen Mann. Dieser zögerte, trank dann aber sehr hastig alles aus. »Vielen Dank. Das habe ich wirklich gebraucht«, sagte er und holte ein Päckchen mit eingeschweißter Nahrung aus seinem Rucksack. Der Priester nahm das Geschenk an und bedankte sich.
»Braucht ihr Antibiotika?«, fragte der junge Mann.
»Nein, danke, davon haben wir genügend«, entgegnete der Priester.
»Wie ernährt ihr euch hier?«
»Wir bekommen Lieferungen von draußen, außerdem habe ich im Kirchengarten Obst und Gemüse angebaut, sogar einen Kräutergarten besitzen wir, damit der Geschmack nicht zu kurz kommt. Die Jüngeren von uns jagen auch Wildschweine, Rehe und Kaninchen.« Dem Priester blieb der skeptische Blick des jungen Mannes nicht verborgen. »Ja, das stimmt, es gibt auch jüngere Menschen in unserer Gemeinde. Einige haben dich schon auf dem Weg hierher unter die Lupe genommen, musst du wissen. Die Straßen hier halten wir frei, damit unsere Alten in Frieden spazieren gehen können.« Der junge Mann erinnerte sich an den toten Wolf in der Nähe der Kirche. Der Priester fuhr fort: »Auf den ersten Blick mag es etwas merkwürdig erscheinen, aber die Alten können hier in Würde sterben, ohne dass sich jemand einmischt. Viele kommen aus Neustadt hierher, sie suchen die vertraute Umgebung und alte Rituale beruhigen sie. Nach ihrem Tod kümmern wir uns um ihre Überreste und verbrennen sie.« Ein Leben in Zeitlupe, wie in einer anderen Dimension, dachte der junge Mann.
Ihm blieb es ein Rätsel, wie diese Gemeinde in einer verseuchten Stadt bestehen konnte. »Aber wie könnt ihr die Strahlung überleben?«
»Ja, die Strahlung ist natürlich ein Problem. Wir haben aber eine Lösung dafür gefunden. Die Strahlung stellt für uns Alte nicht dasselbe Problem dar wie für euch. Bis wir Krebs bekommen, sind wir wahrscheinlich schon eines anderen Todes gestorben. Vor der Strahlung geschützt werden müssen vor allem die jungen Menschen.« Der Priester hielt kurz inne, faltete seine Hände und fuhr fort: »Deshalb leben unsere Kinder und Jugendlichen in einem großen Schutzbunker tief unter der Erde. Wenn sie selbst Eltern geworden sind, verlassen auch sie ihren Nachwuchs und kommen zu uns nach draußen. Nur wenige Erwachsene bleiben bei den Kindern
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