Nicht die Welt (German Edition)
aufgereiht auf ihr Essen warteten, saßen andere schon mit ihren Mahlzeiten an den Tischen. Im Ganzen waren es mehr als einhundert Kinder und ungefähr ein Dutzend Erwachsene, die sich hier in ausgelassener Stimmung zusammengefunden hatten. »Ich bin hier!«, rief jemand. Er drehte sich um und sah die junge Frau, die an einem Tisch hinter einer der zahlreichen Säulen saß. Freudig kam sie auf ihn zu und küsste ihn. »Ich wollte dich nicht wecken und habe dich schlafen lassen. Ich wusste ja, dass du hierher kommst, wenn dein Magen knurrt«, sagte sie und streichelte seinen Bauch. Sie ergriff seine Hand und führte ihn an den Tisch. »Hier, ich habe für uns beide genug zu essen.« Es gab Fleischpastete mit Kartoffeln und Spinat. Dazu tranken sie einen Kräutertee, der in großen Kannen auf den Tischen stand. Nachdem sie mit dem Essen fertig waren, sagte er: »Du weißt, ich muss jetzt unbedingt los, um mir den Heckenschützen vorzuknöpfen.«
»Ja, ich weiß. Und du musst dein Papier suchen«, antwortete sie.
»Was? Woher weißt du davon?«, fragte er verwirrt.
»Du redest im Schlaf«, entgegnete sie und lachte. Verlegen sah er nach unten: »Vielleicht weiß ich gar nicht mehr, weshalb ich hier bin. Eigentlich möchte ich hier bei dir bleiben.« Sie ergriff seine Hände: »Du musst dein Schicksal erfüllen, mein Liebling, das muss jeder von uns. Nur deshalb sind wir hier.«
Ein Gläubiger, der ungefähr im selben Alter wie der junge Mann war, kam auf sie zu und setzte sich zu ihnen. »Es tut mir sehr leid um deinen Bruder, er wäre in Neustadt ein ausgezeichneter Missionar geworden. Er war kurz davor, die letzte Prüfung zu bestehen«, sagte er zur jungen Frau, die ihn abschätzig musterte. Eine Zeit lang schwiegen sie. »Was haben die Missionare für eine Funktion?«, fragte der junge Mann schließlich den Gläubigen.
»Wie du vielleicht siehst, sind wir noch eine kleine Gemeinde. Unsere Existenz steht auf dem Spiel. Wir sind eine Art Urgemeinde, die täglich ums Überleben kämpfen muss. Deshalb bilden wir Missionare aus und schicken sie nach Neustadt. Dort haben sie die Aufgabe, uns zu unterstützen.«
»Inwiefern?«
»Wir bekommen Lieferungen von Nahrungsmitteln, täglichem Bedarf und technischen Geräten, also alles, was wir so brauchen.«
»Also, dann sind eure Missionare ja eigentlich reine Geldbeschaffer?«
»Nun ja, wenn du es so sehen willst. Aber es wird bald anders sein. Besser.«
»Sind viele Missionare von euch in Neustadt?« Der Gläubige überlegte eine Zeit lang, bevor er antwortete: »Ich glaube, ich kann es dir verraten. Wir haben vor einigen Jahren einen Missionar nach Neustadt geschickt. Das ist bisher der Einzige. Aber er ist sehr erfolgreich und unterstützt uns besser, als wir gedacht haben.«
»Die anderen Missionare, die nach Neustadt gehen sollten, wurden alle ermordet«, warf die junge Frau ein.
»Ja, das stimmt. Es ist wie ein Fluch, der über unserer Gemeinde liegt. Wir müssen es aber als eine Art von Prüfung verstehen«, sagte der Gläubige leise.
»Wisst ihr eigentlich, wie euer Missionar an Geld kommt?«, fragte der junge Mann.
»Nein, seitdem er vor vier Jahren aufgebrochen ist, hatten wir keinen Kontakt mehr.«
»Wie sucht ihr die Missionare denn aus?«, fragte der junge Mann.
»Nun, eigentlich entscheidet jeder für sich, ob er Missionar werden kann und will. Auf jeden Fall müssen es Menschen sein, die sich durchsetzen können, immer ihr Ziel vor Augen haben. Am besten sind wahrscheinlich so Eigenbrötler wie unser Erster, für die es hier in der Gemeinde keinen Platz gibt.«
Der junge Mann bemerkte, dass die Kinder um ihn herum immer wieder husten mussten. Offensichtlich machte ihnen das feuchte Klima im Bunker zu schaffen. Eines der Kinder kam freudestrahlend auf den Gläubigen zugelaufen. »Der Unterricht geht gleich weiter«, sagte dieser und schickte das Kind wieder zurück an seinen Tisch.
»Sind die Kinder alle hier unten im Bunker geboren worden?«, wollte der junge Mann wissen.
»Nein, nein, alle, die du hier siehst, wurden in Neustadt geboren«, wandte der Gläubige ein. »Die Eltern haben sie in ihrer Not bei uns abgegeben.«
»Und du? Wie ist es bei dir?«
Der Gläubige lachte. »Nun, sagen wir es so: Früher war ich ein Draufgänger, vielleicht sogar ein Nichtsnutz gewesen. Vor einigen Jahren bin ich von zu Hause ausgerissen und habe hier in der Stadt das Abenteuer gesucht. Dann habe ich den Priester oben in der Kirche getroffen. Und
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