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Nicht die Welt (German Edition)

Nicht die Welt (German Edition)

Titel: Nicht die Welt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karsten Krepinsky
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meine Schwester sich nicht wegen mir in Gefahr begibt.« Der letzte Eintrag war vor zwei Tagen verfasst worden. Er legte das Buch wieder zurück in die Schublade, verließ den Schlafsaal und ging zum Hauptstollen mit der Einschienenbahn.
     
    Die Elektrobahn war weit und breit nicht zu sehen. Da er nicht wusste, wie er sie rufen konnte, entschied er sich dazu, zu Fuß den Stollen zu erkunden. An einer Stahltür konnte er Maschinenlärm vernehmen. »Generatorenräume«, stand auf dem Türschild. Er presste ein Ohr gegen den warmen Stahl und hörte die Stimmen von mehreren Menschen, die sich angeregt unterhielten. Gerade wollte er die Türklinke herunterdrücken, als er nach rechts blickte und ihm in einigen Metern Entfernung eine Einbuchtung auffiel. Die Stahltür mit der Aufschrift »G« quietschte beim Öffnen. Der Nebenstollen war hell erleuchtet. Von rechts drang Kinderlärm zu ihm vor. In einem Saal rannten vergnügt einige Kinder um kleine Tische herum, andere hüpften in ihren Laufställen auf und ab. Ein kleines Kind lief gegen sein Bein und fiel zu Boden. Behutsam hob er das Kind auf, und es lächelte ihn an. Seine Arme waren nicht vollständig entwickelt. Als er sich umsah, bemerkte er, dass alle Kinder Missbildungen und Entstellungen aufwiesen: viele an den Armen, andere im Gesicht oder an den Beinen. Manche waren derart verunstaltet, dass sie sich kaum bewegen konnten. »Na, neu hier?«, fragte jemand hinter ihm. Erschrocken drehte er sich um und sah einen Mann, der ihn freundlich anlächelte.
    »Ja, äh, ich habe mich leider verlaufen«, antwortete der junge Mann.
    »Ist mir am Anfang auch so gegangen. Wir sehen uns später.«
    »Ja, bis dann«, erwiderte der junge Mann und verließ zügig den Saal.
     
    Als er gerade die Stahltür zum Hauptstollen öffnete, erklang eine Durchsage: »Alle Kinder und ihre Lehrer begeben sich jetzt bitte in den Speisesaal zum Mittagessen.« Erst jetzt bemerkte er die Lautsprecher im First, die nicht sonderlich groß waren, so dass man sie leicht übersehen konnte. Neben ihnen waren Sichtaugen montiert, die den Stollen zu überwachen schienen. Da der Tag bereits so weit fortgeschritten war, musste er unverzüglich die junge Frau finden, wenn er heute noch bei Tageslicht das Innenministerium erreichen wollte. Das Beste schien ihm zu sein, sich dem allgemeinen Streben in den Speisesaal anzuschließen, um dort sein Glück zu versuchen. Im Stollen selbst gab es keinerlei Wegweiser, doch glücklicherweise sah er einen Arbeiter mit einer Werkzeugkiste, der eine Lampe an der Wand ersetzte: »Wo ist bitte der Speisesaal? Ich bin neu hier«, sagte der junge Mann. Der Arbeiter musterte ihn misstrauisch: »Gleich die Tür da drüben natürlich.«
     
    Hinter der Stahltür »F« lag ein aufwändig renovierter Abschnitt des Bunkers. Ein weiches Licht erhellte die frisch gestrichenen Wände des Flurs vor ihm. Dieser war nicht so hoch und so breit wie die Stollen, wirkte dafür aber wesentlich einladender. Aus verschiedenen Räumen zu beiden Seiten kamen Kinder und einige Erwachsene herausgelaufen, um in die von ihm entgegengesetzte Richtung zu gehen. Durch die offenen Türen zu seiner Rechten sah er Unterrichtsräume, in denen Tische und Stühle vor Lehrerpulten aufgereiht waren. Zu seiner Linken lag ein großer Raum voller Bücher. In Neustadt gab es nur noch sehr wenige Bibliotheken, weil durch Neuwelt die meisten Bücher nicht mehr in gedruckter Form erschienen. In einfachen Holzregalen lagerten wissenschaftliche Bücher, Bücher über Technik, Bücher mit religiösen Inhalten, natürlich das Buch in vielfacher Ausführung, einige Romane und viele Kochbücher. Gesammelte Werke aus den Wohnungen der Stadt. Im hinteren Teil des Raums und von einem Vorhang verdeckt waren Berge von Kartons gestapelt, die Bücher über das Militär und Kriegsromane enthielten. Gleich neben der Bibliothek befand sich ein großer leerer Raum. Mehrere Lederbälle lagen auf dem Boden. Eine weitere Tür unmittelbar angrenzend an die Turnhalle fand er verschlossen vor. »Schlafsaal«, stand in bunten Buchstaben quer über der Tür. Als er zu guter Letzt das Ende des Flurs erreicht hatte, stand er vor einer zweiflügligen Metalltür mit runden Sichtfenstern.
     
    Er öffnete die Tür und befand sich in einem großen Speisesaal. Metalltische mit einfachen Hockern standen dort fest verankert im Boden. Am hinteren Ende des Saals lag die Küche mit der Essensausgabe. Während einige Kinder noch in einer Schlange

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