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Nicht ganz schlechte Menschen

Nicht ganz schlechte Menschen

Titel: Nicht ganz schlechte Menschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Krausser
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protokollierten Nachrichten
auszutauschen.
    Die Spitznamen wurden alsbald verschliffen. Karl, einer der wenigen
hier, die ausreichend gut Französisch sprachen, spezialisierte sich bald auf
das Abhören von Radio France. So wurde er Franz gerufen, und die schwarzhaarige junge Italienerin Mila .
Sie nach ihrem richtigen Namen zu fragen, traute er sich lange nicht. Wer solch
irrelevante Fragen stellte, geriet schnell in Verdacht. Mila sprach, wie er
selbst, ein einfaches, aus dem Wörterbuch erlerntes Hochspanisch. Sie rauchte
dünne russische Zigaretten und schien auf das Essen der Nachtkantine angewiesen
zu sein, zeigte großen Appetit, brachte ein Beutelchen getrockneter Gewürze
mit, peppte ihren Mitternachtsimbiß auf. Mila war dabei gertenschlank. Man
konnte auf den Gedanken verfallen, daß der verquollene Fraß hier ihre
Hauptnahrungsquelle bildete.
    Karl hatte noch nie ein Mädchen mit derart pechschwarzem Haar
gesehen. Sie trug es meist zum Pferdeschwanz gebunden, manchmal aber, wenn es
frisch gewaschen war, ließ sie es, der Wirkung durchaus bewußt, lose um ihren
hohen Hals fallen. Welch ein Anblick. Sie besaß so schöne und feingliedrige
Hände, als wäre sie eine Geigenvirtuosin. In diese Richtung ging denn auch das
erste Kompliment, das Karl ihr zu machen wagte. Sie lächelte und sagte leise: Grazie , wurde sogar ein wenig rot. Sie zu fragen, ob sie
einen Freund hatte, wagte Karl aber nicht. Ein solches Mädchen mußte einfach
einen Freund haben. Bestimmt hatte einer der hohen Offiziere sie für sich
entdeckt, oder sie zog einen jungen Athleten vor. Jemand wie Mila lief nicht
einfach frei herum, nein, und Karl mußte zugeben, daß er sich verliebt hatte,
unglücklich verliebt, aussichtslos verliebt. Das konnte er nicht brauchen, am
allerwenigsten jetzt, wo er seine Existenz endlich in den Griff bekam und in
sinnvolle Bahnen lenkte. Er ließ von Mila ab, sah sie nur immer wieder
verstohlen an, registrierte aber erleichtert, wie sie jedem Annäherungsversuch
anderer Lügenfresser mit demonstrativer
Gleichgültigkeit widerstand.
    Es gab noch
einen etwas älteren Italiener, der von allen Vati genannt wurde. Karl
verdächtigte ihn, mit Mila verwandt zu sein oder gar Schlimmeres. Es
stellte sich aber heraus, daß die beiden nichts miteinander zu tun hatten.
    Alle Männer, die es hier mit ihr ins Kellerloch verschlug, dachten
dasselbe. Mila gehörte in eine andere Liga. Sich bei ihr Chancen auszurechnen,
schien Größenwahn oder Zeitverschwendung. Wenn sie aber mit einem Offizier
zusammen war, wieso aß sie um Mitternacht so gierig das zerkochte alte Zeug?
Das hätte sie dann wohl nicht nötig gehabt. Demnach mußte ihr Liebhaber ein
junger, sportlicher Schönling sein. Karl hatte in den letzten Wochen über zehn
Kilo abgenommen, nicht genug, um ausreichend Selbstbewußtsein zu beziehen.
Immerhin konnte ihn niemand mehr einen Fettkloß nennen, er hätte allenfalls
noch als stämmig gegolten und scheute den Blick in den Spiegel nicht länger.
    Am achten Februar fiel Malaga in die Hand der Faschisten. Die Lügenfresser erfuhren es zuerst. Kein Zweifel war möglich, selbst die republikanischen
Sender vermeldeten den Fall der südspanischen Hafenstadt. Im Kellerloch
herrschte eine trist-gedrückte Stimmung.
    Die stets vor sich hin fluchende Frau an den Essenskesseln fluchte
noch etwas lauter als sonst, in einem Phantasiedialekt, den niemand verstand.
Dann spendierte sie eine Wasserflasche, halbvoll mit Schnaps, als kleinen
Trost. Jeder griff zu. Karl nicht. Das sollte sich als folgenschwer erweisen.
    Mila trat zu ihm hin und fragte, warum er nicht trinke.
    Alkohol vernebelt meinen Geist.
    Dazu ist er da, der Alkohol.
    Das will ich aber nicht.
    Mila sah ihn durchdringend an. Ihm wurde ganz heiß, auch ohne jeden
Tropfen Schnaps.
    Wenn ich dir einen Rat geben darf –?
    Bitte. Gerne.
    Ein nüchterner Mensch hat etwas zu verbergen. Solange du nicht
trinkst, wird jeder dich für einen Spion halten, der Angst hat, sich zu
verraten.
    Ach so?
    Wenn du einen Schnaps trinkst, wirst du vielleicht den Mut haben, zu
fragen, ob du mich nach Hause begleiten kannst.
    Vielleicht. Dazu müßte ich aber schon zwei oder drei trinken.
    Dann tu das.
    Karl brach der Schweiß aus. Die Situation wuchs ihm über den Kopf.
Bildete er sich das nur ein oder hatte Mila ihn eben dazu aufgefordert, sie
nach Hause zu begleiten? Er hätte gar keinen Schnaps mehr trinken müssen, so
besoffen kam er sich vor.
    Gehen wir.
    Erst mußt du

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