Nicht ganz schlechte Menschen
daß Ines tot war? Und wenn Ines tot war, was bedeutete dann das?
Wenn ihre Festnahme, was Karl sich nicht vorstellen konnte, aus politischen
Motiven erfolgt war, blieb die Möglichkeit, daß sie in den offiziellen Akten
vorerst nicht auftauchte. Wahrscheinlicher schien, daß sie durch den
Knüppelhieb tödlich verletzt worden war und man ihren Leichnam als
Betriebsunfall aus der Welt geschafft hatte. Den allseits verhaßten
Sturmgardisten war jede Schweinerei zuzutrauen.
Ich danke Ihnen für Ihre Mühe. Sie sind ein guter Mensch.
Bitte sehr. Man hat mir eine Rodrigo Katarina und einen Rodrigo Juan angeboten. Falls dir das weiterhilft, Kamerad.
Das tut es leider nicht, dennoch: danke.
Gern geschehen. Zwischen dir und dieser Ines ist wohl was gelaufen?
Sei ehrlich!
Karl verneinte das vehement, auch wenn er den nach Schlüpfrigkeiten
gierenden Offizier damit enttäuschte. Er glaubte, alles Menschenmögliche für
die verschollene Freundin getan, sich weit genug aus dem Fenster gelehnt zu
haben. Nun war es an der Zeit, Mila zu begegnen. Zuvor mußten noch zwei Stunden
Dienst heruntergerissen werden. Zum ersten Mal benutzte Karl dabei den Pißpott.
Seine Aufregung äußerte sich in gesteigertem Harndrang und permanenter
Übelkeit. Zuletzt steckte er sich zwei Finger in den Mund, um seinen
eisenschweren Bauch zu erleichtern.
Pierre hatte Ellie und Max zu sich bestellt, um ihnen
einen gutgemeinten Vorschlag zu unterbreiten. Beide sollten fortan dauerhaft
und endgültig im Hotel
Monbijou residieren, als seine Gäste, und die Adresse in der Rue
Clovis aufgeben. Er verfüge inzwischen über die nötigen monetären Reserven, um
das morsche Gebäude, das zu Maupassants Zeiten einmal modern gewesen sei, von
Grund auf renovieren zu lassen. Danach würde es statt der zwei Sterne drei wert
sein, vielleicht sogar vier.
Und wißt ihr was? Euch beide will ich mit der Bauleitung betrauen.
Ihr bezieht ein Fixgehalt von jeweils siebenhundert Francs im Monat und haltet
mir allen Ärger vom Leib. Kommt mir bitte nicht mit dem Einwand, daß ihr von so
was nichts versteht. Ich bin mir sicher, ihr kriegt das alles hin. Sagt einfach
ja – und ich bin glücklich.
Max und Ellie sahen einander kurz an, sagten gleichzeitig ja und
waren glücklich. Eine Zeit, die eben noch aussichtslose Exilanten in sorglose
Bauherren verwandeln konnte, verdiente es, gelobt zu werden. Beide hielten sie
Pierre für einen netten und großzügigen, aber auch leichtsinnigen Menschen. Die
Erbschaft schien ihm einige Schrauben gelockert zu haben.
Womit sie nicht rechneten, war seine Menschenkenntnis. Entgegen
jeder Erwartung an sich selbst gingen Max und Ellie mit Fleiß und Sorgfalt an
die ihnen übertragene Aufgabe. Als wäre weiter nichts dabei, machten sie sich
mit allem Wissenswerten vertraut. Sie mußten eigentlich gar nicht viel wissen,
nur eben die richtigen Leute aussuchen, die aus ihrem Wissen keinen überzogenen
Profit schlagen wollten. Der Rest bestand darin, Handwerker zu organisieren und
den Hotelbetrieb so umzustrukturieren, daß das Haus nur etwa vier Wochen
komplett für die Kundschaft geschlossen werden mußte, wegen der Lärmbelästigung
durch die Fassadenarbeit.
Max und Ellie
kündigten ihr Mietverhältnis, telegrafierten Karl ihre neue Postanschrift und
gaben damit an, nun auch telefonisch erreichbar zu sein.
Xavier Chapelle, der die Deutschen nach wie vor verachtete und zu
ignorieren suchte, stieg vom Rezeptionisten zum Hotelmanager auf, bei
veranderthalbfachtem Gehalt. Er faßte die Beförderung ganz richtig als
Beschwichtigungsmaßnahme auf. Und machte sich dennoch Gedanken um seinen über
allen Wolken schwebenden Chef. In einer Mischung aus Neid, Besorgnis und
Verwunderung.
Pierre Geising hatte nebst seiner Gattin auch viel von seinem
Pflichtgefühl verloren. Er glaubte, die wenigen schönen Jahre, die ihm vor dem
Einbruch des Alters noch vergönnt sein würden, intensiver nutzen zu müssen als
bisher. Er flanierte viel, frühstückte spät, las im Café ausgiebig die
Zeitungen und betrat endlich und zum ersten Mal in seinem Leben den Louvre.
Boxsportveranstaltungen hatten es ihm angetan, und um seinen lädierten Rücken
zu stärken, mietete er regelmäßig ein Boot, ruderte einige Kilometer die Seine
auf und ab. Er begann auch, sich legerer zu kleiden, lief tagsüber ohne Schlips
herum und kaufte sich für die Spaziergänge in den Parks eine Lederjacke, die
ihm ein jugendliches, verwegenes Aussehen verleihen sollte. Den Zylinder
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