Nicht ganz schlechte Menschen
Frühaufsteher war er
beileibe nicht.
Sold sei für ein Ehrenamt selbstverständlich nicht vorgesehen, aber
er könne sich in den kommunistischen Volksküchen verproviantieren, habe im
Krankheitsfall Anspruch auf bevorzugte medizinische Behandlung und bekomme
einen kostenlosen Ausweis für die rote Leihbibliothek. Karl bedankte sich, auch
wenn er wußte, daß die rote Leihbibliothek, außer bei sehr verspäteten
Rückgaben, ohnehin keine Gebühren verlangte. Rundfunk – das Wort bedeutete für
ihn die Verheißung, Kulturmenschen zu begegnen, die seine Begabung erkennen und
fördern könnten. Sein künftiges Aufgabengebiet wurde gar als kriegswichtig beschrieben, und am ersten Arbeitstag, vielmehr in der ersten Arbeitsnacht,
trat er den Dienst mit dem Vorsatz an, sich durch besonderen Fleiß
auszuzeichnen.
Kulturmenschen begegneten ihm vorerst keine. Überrascht stellte er
fest, daß er überhaupt nicht im Rundfunkgebäude von Radio
Barcelona tätig sein würde, welches sich die PSUC noch immer mit der POUM teilte. Es ging anscheinend
gar nicht darum, Nachrichten auszustrahlen.
Man bestellte Karl zum Hauptquartier der PSUC im Hotel Colón an der Plaza Catalunya und
verfrachtete ihn ins sechste und oberste Stockwerk, in eine winzige Kammer, die
einer Verhörzelle glich und auf den ersten Blick nur einen Stuhl, einen Tisch
und ein Radiogerät enthielt. Dazu Bleistifte, gelbliches Papier, einen Eimer
und eine von der Decke baumelnde Glühbirne. Der Eimer diente wohl als Pißpott
für den Notfall. Das Radiogerät war auf einen bestimmten Sender voreingestellt.
Karls Aufgabe bestand darin, zwei Stunden lang mitzuschreiben, was der Feind,
beziehungsweise das neutrale Ausland, über die Vorgänge in Spanien mitzuteilen
hatte, möglichst detailgenau. Er solle den fälligen Rapport leserlich
verfassen, in spanischer Sprache. Außer Karl gab es noch etliche andere
Freiwillige in ähnlichen Kammern, so viele, wie es feindliche oder neutrale
Sender gab. Er reagierte zuerst etwas enttäuscht über das geringe kreative
Potential jener Tätigkeit, zeigte sich jedoch beeindruckt, mit welcher
systematischen Gründlichkeit die KP an
Informationen interessiert war. Wer in Spanien was und von wem erfuhr – das war kriegswichtig, zweifellos. Anfangs wurde Karl einzig
auf die BBC , den Reichssender
Hamburg und Radio France angesetzt. Für das
Abhören der landesinternen franco-faschistischen Sender hätte er zuvor einen
deutlich größeren spanischen Wortschatz erlangen müssen. Von den Sendern, die
ihr Programm in Català ausstrahlten, ganz zu schweigen. Er gab sich Mühe und
entwarf seinen Bericht erst aufgrund hingekritzelter Notizen (er erwog, einen
Stenografie-Kurs zu belegen), dann, zusammenfassend, übertrug er das
Wesentliche in Schönschrift und Versalien, wobei er aussagekräftige Details
unterstrich und manchmal mit kurzen emphatischen Kommentaren versah. ( Absurd! Abscheulich! Lachhaft!) Nach Ablauf zweier Stunden,
während derer oft auch nur Musik gesendet wurde, besuchte Karl gerne die
Nachtkantine, um eine ehemals warme oder von vornherein kalte Kleinigkeit zu
essen. Das war nun keine Kantine mit Großküche und emsigem Betrieb, sondern ein
Kellerloch, in dem eine dicke, ständig fluchende ältere Frau mit der
Suppenkelle in drei Kesseln rührte, die Erbsen, Bohnen und Linsen enthielten,
manchmal auch Spurenelemente von Bauchfleisch oder Speck. Hinter ihr stand ein
Korb, gefüllt mit schon altbackenem Brot, und wer die Zeit dazu besaß, konnte
sich die Bohnen, Linsen, Erbsen (manchmal gab es dazu auch Kartoffeln oder
Reis) in verkrusteten Steingut-Töpfchen auf einer kleinen Feuerstelle erhitzen.
Man durfte sich nicht beschweren, die Tageskantine war geschlossen und die
Gratis-Speisung im Kellerloch ein Service über das Nötigste hinaus. Auch Wasser
und leichten, säuerlichen Weißwein gab es umsonst. Karl lernte ein paar seiner
Kollegen kennen, wobei es sich zu zwei Dritteln um Kolleginnen handelte. Manche waren ansehnlich und jung, wie Radio
Milano, eine italienische Aktivistin, sicher nicht älter als zwanzig. Man
redete sich hier unten nicht mit dem realen Vornamen an, sondern mit dem Namen
des abgehörten Senders ( Ich bin Radio Belgrad – und du? ).
Das war keine vorgegebene, ausgeklügelte Taktik der Geheimhaltung, sondern eine
selbstgewählte scherzhafte Marotte derer, die sich die
Kompanie der Lügenfresser nannten. Unerwünscht, wenn auch nicht explizit
verboten, war, sich über die Inhalte der
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