Nicht ganz schlechte Menschen
der Italiener ihn abgepaßt hatte, nicht
etwa um Streit anzufangen, sondern um ihn zu warnen. Mila sei von der Miliz
verhaftet worden. Und nach ihm habe man auch gefragt.
Verhaftet? Warum?
Das wußte Vati nicht. Sie werde incomunicado gehalten, in
Isolationshaft.
Weswegen, wenn ich fragen darf, warnst du mich?
Der Italiener überlegte. Als sei es ihm vorher nicht in den Sinn
gekommen, daß er damit vielleicht Verrat beging. Dann zuckte er mit den
Schultern.
Die haben nicht gesagt, daß du was getan hast, die haben nur nach
dir gefragt .
Alora. Und wir sind Kameraden, oder?
Dann hat dich nicht Mila geschickt?
Nein. Der bist du, glaub ich, scheißegal.
Ellie verkündete, was sie nun, spät genug, eingesehen
habe. Nämlich, daß ihre Zukunft wohl auf viele Jahre hinaus in Frankreich
liegen würde, nicht in Deutschland, und daß sie folglich die französische
Sprache erlernen wolle. Max und Pierre gaben ihr abwechselnd Stunden, und siehe
da: Kaum hatte sie ihre Verweigerungshaltung abgeworfen, machte sie schnelle
Fortschritte. Natürlich hatte sie vieles bereits aufgeschnappt. Mühe machten
ihr die Verbkonjugationen, ihre Aussprache hingegen war nicht schlecht.
Chapelle, der sich in seiner Funktion als Hotelmanager immer mehr an den Rand
gedrängt fühlte, beobachtete Ellies Fleiß mit wachsendem Unbehagen. Bisher war
es unmöglich gewesen, ihr wichtige Aufgaben zu übertragen, alles, was sie
konnte, war, Max zu assistieren, nett auszusehen und ihren Charme spielen zu
lassen. Und das war schon nicht wenig. Chapelle verfluchte Geising, diesen
stil- und willenlos dahinlebenden Witwer, dem es anscheinend Freude bereitete,
aller Welt seine sexuelle Hörigkeit zu demonstrieren. Es hatte eine
Verlobungsfeier stattgefunden, danach war Ellies linker Ringfinger um einen
Klunker schwerer geworden. Diese Nutte . Chapelle nannte sie so, ohne von ihrem
Vorleben etwas zu wissen. Eines Nachts verfiel er dem eigentlich naheliegenden
Gedanken, daß er auf diese Frau nicht nur in karrieristischer, vielmehr auch in
erotischer Hinsicht eifersüchtig war. Das kam, weil er ein paarmal vor dem
Einschlafen erfolgreich mit der Vorstellung masturbiert hatte, Ellie zu
vergewaltigen.
Unterdes lief das Geschäft mit den Zimmern 26 und 27 blendend. Das Monbijou wurde zum ersten Mal in einem Londoner Reiseführer für Libertinisten erwähnt,
als ein Hotel, das die Privatsphäre seiner Kunden in besonderem Maße
garantieren könne. Das klang vage, und der Reiseführer war ein Schwarzdruck,
auf zweitausend Exemplare begrenzt. Chapelle schlug dennoch Alarm. Und eine
Änderung vor. Künftig sollten sich die Kunden eintragen müssen, unter welchem
Namen auch immer, egal, und zwei Tage nach ihrem Check-out, wenn nichts mehr
nachgewiesen werden könne, würden die Daten gelöscht. So, als seien die Zimmer
nie gebucht worden. Damit habe man keine Buchprüfung zu fürchten, und im Fall
einer Razzia würde man sich darauf herausreden, daß die Besucher erst einmal
ihr Zimmer beziehen, duschen und schlafen, erst dann ihre Papiere einer
gründlichen Prüfung übergeben wollten. Max und Pierre fanden den Vorschlag
übertrieben. Einen Gast zu zwingen, eine Probe seiner Handschrift abzugeben, sei
sie auch verstellt und behaupte einen falschen Namen, würde der Atmosphäre, von
der das Hotel lebte, einigen Reiz rauben. Es würde im Endeffekt bedeuten, aus
Gästen Komplizen zu machen. Es entstanden lange Diskussionen.
In
Berlin-Plötzensee wurde am 4. Juni 1937 der junge Jude Helmut Hirsch
hingerichtet, der vorgehabt hatte, Hitler und Gauleiter Streicher in Nürnberg
durch einen Sprengstoffanschlag zu töten. Es war bereits der einundzwanzigste
Attentatsversuch auf den Führer des deutschen Reiches.
Karl ging auf Umwegen nach Hause. Glücklicherweise wußte
niemand, wo er zur Zeit wohnte. Nicht einmal Mila hatte er je von den Rosarios
berichtet, nur seinen Lateinschüler Sebastián hatte er wohl mal erwähnt. Aber
das würde nicht genügen, um ihn in dieser riesigen Stadt ausfindig zu machen.
Warum war Mila verhaftet worden? Es mußte mit Zanoussi zu tun haben, einen
anderen Grund konnte sich Karl nicht vorstellen. Vermutlich war der Anarchist
mit dem Sack Waffen doch noch erwischt worden und hatte unter der Folter Karl
denunziert. Über Karl war die Miliz dann auf seine Mitbewohnerin Mila gekommen.
So konnte es gewesen sein. Immerhin möglich, wenn auch nicht einleuchtend. Was
wollte man Mila denn vorwerfen? Die Freundin eines möglichen Verräters zu
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