Nicht ganz schlechte Menschen
sein?
Deswegen steckte sie nun in Isolationshaft? Merkwürdig. Karl dachte nach, wie
er gefahrlos herausfinden konnte, ob nach ihm gefahndet wurde. Und welche Wege
es gab, das Land zu verlassen. Für Ausländer ohne Pässe begann nach den
Maiunruhen eine harte Zeit. Die meisten, die das Pech hatten, in eine Razzia zu
geraten, wurden verhaftet und nach Frankreich abgeschoben. Das wäre ja völlig
in Ordnung gewesen, aber leider wollte sich auch Frankreich nicht mit solch
verdächtigen Subjekten belasten und lieferte viele von ihnen an Italien oder
Deutschland aus.
Ich muß, dachte Karl, nach Paris und meinen Status als geduldeter
Exilant erneuern. Oder ich bleibe einfach hier und verlasse das Haus nicht
mehr. Oder ich nehme meine Arbeit wieder auf und warte, was passiert. Ich nehme
die Schuld auf mich, trage zu Milas Entlastung bei und gehe ins Gefängnis.
Keine der genannten Möglichkeiten vermochte ihn wirklich zu
überzeugen. Aber wenn er alles genau durchrechnete, alle Chancen und Risiken
abwog, schien es doch am besten, sich zu stellen. Er besaß weder einen Paß
(außer dem plötzlich recht wertvollen KP -Mitgliedsausweis)
noch das Geld für einen Schleuser über die Pyrenäen. Sich ahnungslos zu geben,
war deutlich besser, als irgendwo aufgegriffen zu werden.
Am nächsten Tag meldete sich Karl Loewe bei seiner Arbeitsstelle
zurück. Nach langer Krankheit sei er, sagte er dem Teniente, wieder bereit zum
Dienstantritt.
Vorher hatte er die Rosarios darüber in Kenntnis gesetzt, daß es
möglicherweise Probleme geben könne. Sie sollten sich keine Sorgen machen,
falls er einige Zeit nichts von sich hören lasse. Er wollte nicht mehr als die
Sache subtil andeuten, dennoch flossen einige Tränen.
Das ist schön. Wir haben dich schon vermißt. Meinte der
Teniente und klopfte Karl auf die Schulter. Der blieb stehen, als erwarte er
noch etwas. Bis ihm einfiel, daß der Teniente vielleicht mit der Sache gar
nichts zu tun hatte. Die Ungewissheit war nicht auszuhalten.
Verzeihung, Kamerad –
Ja?
Ich habe gehört, daß Mila verhaftet wurde. Man soll auch nach mir
gefragt haben. Weißt du irgendwas darüber?
Der Teniente sah überrascht auf. Er wolle als Vorgesetzter nicht
geduzt werden, sagte er bestimmt, dabei nicht unfreundlich. Ja, Mila, das habe
er wohl mitbekommen, aber mehr wisse er darüber nicht. Man habe auch nach ihren
Freunden gefragt und Karls Adresse notiert, vielleicht für eine Zeugenaussage.
Karl erledigte seine Arbeit, protokollierte das Programm
von Radio
France und rechnete ständig damit, daß die Tür zum Kämmerchen
aufflog und bewaffnete Miliz hereintrat. Aber nichts dergleichen geschah. In
der Nachtkantine unterhielt er sich noch einmal mit Vati und den anderen
Kollegen. Niemand wußte etwas, nur daß Mila abgeholt worden sei, vor fünf
Tagen, und als man sich nach ihr erkundigt habe, hieß es, sie sei incomunicado .
Alle waren der Meinung, daß das doch sehr mysteriös sei.
Die Rosarios freuten sich aufrichtig, als Karl spät in der Nacht
zurückkehrte und ihnen meldete, daß es entweder irgendwo ein großes
Durcheinander gab oder aber alles in Ordnung war, soweit es ihn betraf.
Am nächsten Morgen machte er sich auf die Suche nach Zanoussi. Er
fragte zuerst im Café
Español , von dem er wußte, daß Zanoussi es regelmäßig
frequentierte. Der Oberkellner, ein frischer Genosse, gab ihm bereitwillig
Auskunft. Zanoussi, der Typ mit dem Beduinenkopfschmuck, ja, der komme hier ab
und an vorbei, zuletzt vor ein paar Tagen, exakter wollte der Kellner den
Zeitraum nicht eingrenzen.
Danach ging Karl zu Ines, oder wie immer sie sich jetzt nannte,
klingelte sie/ihn aus dem Schlaf. Ob die Miliz hier gewesen sei und nach ihm
gefragt habe, wollte er wissen, und Ines/Juan reagierte sehr pampig, klagte Karl des Diebstahls von Lebensmitteln
an, nannte ihn einen Hundsfott und Parasiten. Karl beharrte auf einer Antwort
und drohte dem tristen Transvestiten Ohrfeigen an. Juan schüttelte seinen
kahlgeschorenen Kopf. Niemand sei hier gewesen, niemand habe nach Karl gefragt.
Dann drehte er sich um und schob sein Hemd bis zum Hals hinauf, zeigte kaum
vernarbte Striemen von Peitschenhieben, die er ertragen hätte, standhaft – und
wie sei es ihm gedankt worden? Gar
nicht, noch weniger als gar nicht. Karl, der verehrte Freund, für den er das
alles auf sich genommen hätte, habe sich mit einer kindlich-dummen
Muschi vergnügt, hier in dieser Wohnung, und habe auf ihn, Juan, geschissen.
Karl ließ den
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