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Nicht ganz schlechte Menschen

Nicht ganz schlechte Menschen

Titel: Nicht ganz schlechte Menschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Krausser
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schon. In seiner Eigenschaft als Mitglied der
spanischen KP schrieb er, unter dem Briefkopf der PT , einen Brief an die Parteizentrale in Barcelona. Darin
bat er um Auskunft betreffend Verbleib und Gesundheitszustand seiner ehemaligen
Genossin Ludovica Guardagno, verhaftet vor über sechs Monaten. Auch begehrte er
den Grund der Anklage und das ergangene Urteil zu erfahren. Großspurig setzte
er hinzu, daß das sozialistische Ausland begründetes Interesse an der
Aktivistin Guardagno habe.
    Einen ähnlich lautenden, nüchterner gehaltenen Brief sandte er an
das Einwohnermeldeamt in Bari, wobei er sich als Familienangehöriger ausgab.
Falls Mila tot war, konnte es ja sein, daß man ihren Tod der Familie mitgeteilt
hatte. Gar nicht so sehr aus Mitgefühl, sondern aus bürokratischer Korrektheit.
Oder aus viel niedrigeren Beweggründen.
    Mehr konnte Karl im Moment nicht tun, doch das wenige reichte
bereits aus, damit er sich besser fühlte. Daran änderte auch nichts, daß er von
beiden angeschriebenen Stellen keine Antwort bekam. Die Hoffnung, daß Mila noch
am Leben war, wurde durch das doppelte Schweigen nur gesteigert.
    Karl schrieb auch an Juan Rodrigo, bat ihn um Verzeihung dafür, wie
er ihn behandelt habe, aus beklagenswerten Vorurteilen heraus. Es tue ihm leid,
inzwischen habe er dazugelernt, aber damals, da sei er eben in jenes Mächen
namens Mila verliebt und sehr verbohrt gewesen und und und. Es war ein langer
Brief, an dessen Ende die Bitte stand, er, Juan, möge mit offenen Augen Umschau
halten und ihm gelegentlich über die jüngsten Geschehnisse Bericht erstatten.
Und wenn er jemals diesen halbarabischen Anarchisten, Jean Zanoussi, träfe,
irgendwo, vielleicht im Café Español , wo dieser ganz gerne mal verkehre, dann
möge er ihn auffordern, zu ihm, KL , wohnhaft im Hotel Monbijou ,
Paris, Kontakt aufzunehmen.
    Karl wußte nicht genau, was er sich davon versprach, aber der Brief
war ein wichtiger Teil des Wesentlichen. Nämlich alle Möglichkeiten, die
die Entfernung zuließ, ausgeschöpft zu haben.
    Der Winter 1937/38 war schmutzig grau und für Pariser Verhältnisse
sehr kalt. Pierre fing sich eine Grippe ein, hustete drei Wochen lang und besaß
prompt einen Vorwand, Chapelles Hochzeit mit Blanche fernzubleiben. Statt dessen
zitierte er den Hotelmanager an sein Bett, um ihm nahezulegen, daß Blanche zur
Vermeidung von Gerede und Interessenskonflikten den Arbeitsplatz wechseln
solle. Chapelle hatte nichts dagegen, er meinte, daß Blanche, als seine Ehefrau
und Mutter seiner Kinder, künftig überhaupt nicht mehr arbeiten müsse, er komme
für ihren Unterhalt auf, das liege in der Natur der Sache. Pierre hörte aus
Xaviers Antwort eine gewisse Überheblichkeit heraus, die ihn verärgerte.
    Max und Ellie genossen das Leben. Sie waren einander vertraut wie
selten zuvor, auch wenn – und vielleicht gerade weil – für Ellie und Pierre
dasselbe galt. Der Mai rückte näher und damit Ellies gegebenes Versprechen,
Pierre zu ehelichen. Sie hatte inzwischen kein Problem mehr damit und war im
Gegenteil froh über Max’ pragmatische Weitsicht, seinen Großmut, sein
Verständnis. Nur von Pierre schwanger werden wollte sie nicht. In ihrem Beruf
wußte sie um alle Tricks, dergleichen zu verhindern, aber völlig sicher sein
konnte man nie.
    Mach dir mal keine Gedanken, meinte Max, es gibt einen ganz sicheren Weg zu
verhindern, daß er dich bestäubt.
    Ach ja? Welchen denn? Sie sah Max erstaunt an, forschte in seinem
Gesicht nach der Lösung, und als sie endlich begriff, mußte sie lachen.
    Das hätt ich dir im Ernst nicht zugetraut. Du meinst wirklich?
Bisher warst du ja nicht der Typ, der … Aber du hast recht, das könnte klappen,
du und Pierre, ihr seht euch jetzt nicht soo unähnlich, daß –
    Wovon redest du bitte?
    Ellie schwieg verunsichert. Mit ihren nun siebenunddreißig Jahren
hielt sie sich für eine Schwangerschaft bereits zu alt, aber Max zuliebe hätte
sie das Risiko auf sich genommen.
    Offenbar dachte er an etwas ganz anderes. Sie grübelte, und die im
Zimmer entstandene Stille empfand sie als peinigend.
    Ich werde ihn kastrieren.
    Was?
    Ich kastriere ihn.
    Um Himmels willen. Ellie blickte voller Entsetzen in Max’ dramatisch
verfinsterte Mimik.
    Ach, Mädchen, ich mach doch bloß Spaß. Was traust du mir denn zu?
    Erleichtert warf sich Ellie in seine Arme und gab ihm einen Nasenstupser.
Max’ Humor blieb unberechenbar und war manchesmal nicht einmal lustig. Aber
oft, sehr oft, gingen seine

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