Nicht ganz schlechte Menschen
zugange war. Die Komödie,
derzufolge er Ellies Halbbruder spielen mußte, fand er nur anfangs
witzig, dann geschmacklos bis widerwärtig. Zu welchem Ergebnis sollte das am
Ende führen? Manchmal war er nahe daran, auf den Tisch zu hauen und die
Verhältnisse zu klären. Nur die Angst, hinterher mit nichts dazustehen als
einem guten Gefühl, hielt ihn davon ab. Karl und Pierre waren inzwischen
Freunde geworden, und Karl begann sogar ein wenig Pierres Boxsportbegeisterung
zu teilen.
Der Sommer verlief weitgehend ereignisfrei, wurde von einem
regnerischen Herbst abgelöst. Aus einiger Entfernung betrachtet, gingen sechs
Monate vorüber, ohne daß sich im Leben der Loewe-Brüder viel veränderte.
Erwähnenswert war der 16. Oktober, als Pierre, Ellie, Max und Karl
sich einen gemeinsamen Theaterabend gönnten. Auf dem Spielplan des Théâtre
Adyar stand die Uraufführung des jüngsten Brecht-Stückes »Die Gewehre der Frau
Carrar« mit Helene Weigel in der Titelrolle. Die Meinungen darüber gingen
hinterher weit auseinander. Ellie meinte, daß die Weigel eine tolle
Schauspielerin sei, Pierre war beeindruckt von der aristotelischen Einheit des Stückes,
wobei er sich nicht recht festlegen wollte, ob es ihm gefallen hatte.
Jedenfalls sprach er Karl nochmal seine Bewunderung dafür aus, in Spanien aktiv
gewesen zu sein. Karl selbst nannte das Werk erschüttternd und aufrüttelnd, er
zeigte sich schwer betroffen, ja höchstpersönlich angesprochen und hinterfragt.
Zum ersten Mal deutete er an, daß die Flucht aus Spanien ein Fehler gewesen
sein könne. In moralischer Hinsicht. Max war in erster Linie hier, um einmal
den Autor des Baal leibhaftig zu sehen. Möglichkeiten dazu hätte es in Berlin vor einigen Jahren
etliche gegeben, damals aber hatte er aus irgendeinem Grund nicht daran
gedacht. Nun verkündete er, Brecht sei als Autor für ihn erledigt. Wer eine
derart trockene, kunstlose Propagandascheiße fabriziere, könne vielleicht in
stalinistischen Kaderschmieden aufgeführt werden, nicht aber an Theatern einer
westlichen Kulturmetropole. Die Handlung sei lächerlich, die Sprache naiv und
unbeholfen, ohne Zwischentöne und Poesie. Die schwarzweiße Karikatur eines Stückes
sei das, und die Haltung dahinter unmenschlich in ihrem verbohrten
Proletariats-Heroismus.
Es folgte ein erregter Streit. Karl verteidigte die schlichte
Sprache des Autors als wohltuend unpreziös und lobte die klare,
unmißverständliche Position, die er einnahm. Die Botschaft, daß es im Kampf
zwischen Gut und Böse keine Neutralität geben dürfe, sei nicht verbohrt,
sondern kraftvoll, gerade durch den Aplomb ihres Vortrags. Max, dessen
Romanfragment inzwischen auf drei Seiten, die er meistens bei sich trug,
angewachsen war, verzichtete darauf, eine persönliche Begegnung mit Brecht
anzustreben. Dieser einst von Talent gesegnete Literat hatte seinen Verstand in
der Garderobe der Politik abgegeben, von so einem war keine Unterstützung zu
erhoffen, im Gegenteil. Pierre hielt sich aus der Debatte heraus, er meinte
salomonisch, Shakespeare hätte das Thema sicher anders behandelt, aber dessen
Zeit sei mit der heutigen eben nicht zu vergleichen. Ein Diktum, das sowohl
Karl wie Max als läppisch erachteten, was sie aber beide für sich behielten.
Ellie wiederholte noch einmal, daß sich der Abend schon wegen Helene Weigel
gelohnt habe. Man könne doch jetzt noch schön Eis essen gehen. In beiden
Punkten gab man ihr recht.
Kurz vor Weihnachten verlangte Xavier Chapelle eine Gehaltserhöhung.
Er begründete dies mit dem blühenden Geschäft, das das Hotel allgemein und im
Speziellen mit den Sonderzimmern machte. Und fügte hinzu, demnächst heiraten zu
wollen, nämlich Blanche, eins der jungen Zimmermädchen, ein unscheinbares, leicht
begriffsstutziges Dotscherl aus der Vorstadt, das zu ihm aufsah mangels
besserer Perspektiven im Leben.
Was, für sich genommen, von dem Dotscherl schon wieder recht klug
war.
Chapelle unterhielt seit einigen Wochen, wie sich nun herausstellte,
ein Verhältnis mit ihr und rechnete auf Geisings weihnachtliche Geberlaune.
Doch der erbat sich Bedenkzeit. Ihm war nicht klar, wie er die Forderung deuten
und bewerten sollte. Als Unverschämtheit? Als versuchte Erpressung? Unverschämt
wirkte Chapelles Bitte auf Pierre vor allem deshalb, weil der die Bezüge seines
Angestellten wenige Monate zuvor schon sehr großzügig um fünfzig Prozent
heraufgesetzt hatte, und selbstverständlich beinhaltete diese Aufstockung ein
gewisses
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