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Nicht ganz schlechte Menschen

Nicht ganz schlechte Menschen

Titel: Nicht ganz schlechte Menschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Krausser
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war soweit in Ordnung, als Ordnung stilles Glück und
Sorgenfreiheit meint. Es hätte immer so weitergehen können, wie im Rausch,
zumal es nur ein Sekt-, kein Schnapsrausch war. Bis eines Tages, im frühen
März, jemand, der sich auf Karl berief, kurz nach Mitternacht ein Zimmer haben
wollte, dazu Rotwein, Brot und gesalzene Butter. Max, der an der Rezeption
aushilfsweise Dienst tat, verlangte von dem späten und hörbar angetrunkenen
Gast Papiere, einen Ausweis. Der Gast berief sich auf Karl, der ihn eingeladen
habe, und machte ein großes Gezeter. Vorerst wurden die Formalien auf den
Morgen vertagt, und der Gast bekam die freigewordene Gesindekammer von Blanche.
    Karl, am Morgen geweckt, reagierte perplex, als er den
Frühstückssaal betrat, obgleich ihm gesagt worden war, daß der nächtliche
Stänkerer eine Art Turban trug. Dort hinten im Eck hockte Jean Zanoussi, der
ein weichgekochtes Ei nach dem anderen köpfte und gierig verschlang.

FREIHEIT
    Irgendwie
und irgendwo gehören wir doch in der großen europäischen Völkerfamilie
zusammen, und vor allem, wenn wir alle ganz in unser Innerstes blicken – dann,
glaube ich, möchten wir doch keine der wirklichen europäischen Kulturnationen
vermissen oder sie auch nur wegwünschen. Wir verdanken uns nicht nur mancherlei
Ärger und Leid, sondern doch auch eine ungeheuere gegenseitige Befruchtung. Wir
gaben uns ebenso Vorbilder, Beispiele und Belehrungen, wie wir uns aber auch
manche Freude und viel Schönes schenkten. Sind wir gerecht, dann haben wir
allen Grund, uns gegenseitig weniger zu hassen – als uns zu bewundern.
    Adolf
Hitler (Reichsparteitagsrede September 1937)
    Man muß wissen, wann man die Zelte einpacken muß. Das
freie Spanien, das ehemals freie Spanien, gehört jetzt deinen
Mördergenossen. Gratuliere.
    Wie bist du über die Grenze gekommen?
    Wieso? Ich bin französischer Staatsbürger. Ich habe das verdammte Recht ,
hier zu sein. Du wolltest doch Kontakt zu mir, oder nicht? Du hast doch diese
Schwuchtel gebeten, mir auszurichten, wo ich dich finde. Also, hier bin ich.
    Schwuchtel? Fragte Max.
    Das heißt aber nicht, daß ich dich eingeladen hätte. Das könnte ich
gar nicht, ich bin selbst nur zu Gast hier. Karl bemühte sich, jedem Verdacht
entgegenzutreten, er habe seine Kompetenzen überschritten.
    Was für eine Schwuchtel? Bohrte Max nach.
    Das spielt doch keine Rolle, rief Karl laut und wandte sich an Pierre.
Ich hab ihn nicht eingeladen, ich hab ihn nur um briefliche Auskunft gebeten,
das ist alles. Ein Mißverständnis.
    Auch Zanoussi wandte sich nun an Pierre. Ich habe kein Geld, wenn Sie welches von mir wollen. Wäre
ich jetzt nicht hier, wäre ich in einem Gefängnis des SIM . Sie haben hier das Sagen? Voilà! Verfügen Sie über mich! Demonstrieren Sie mir Ihre Macht, so
oder so! Ich bin der blutleere Schatten eines Mannes, das Übrigbleibsel eines
großen Traums, der vor die Hunde ging. Ich esse Ihre etwas zu weichen Eier, mit
nichts in der Tasche. Soll ich gehen? Dann gehe ich. Und wenn ich gehe, sickert
die Hölle durchs Erdreich, vergiftet die Äcker und die Früchte der Felder. Mir
ist nichts geblieben als der Zorn.
    Er ist Anarchist, erklärte Karl.
    Ach was? Sagte Pierre, der zum ersten Mal in seinem Leben einen
leibhaftigen Anarchisten aus der Nähe zu sehen bekam. Er fand das spannend und
amüsant.
    Dann essen Sie sich erstmal satt! Karls Freunde sind auch mir
willkommen.
    Er
ist nicht mein Freund , murmelte Karl auf deutsch.
    Die Unterhaltung wurde ansonsten auf Französisch geführt, und Ellie
hatte Mühe zu folgen. Zanoussi redete, während er kaute, wirres Zeug und
verschluckte jede zweite Silbe. Jetzt aber deutete er mit drei Fingern auf sie.
    Wie verhält es sich denn mit der Jüdin?
    Weshalb nennen Sie mich eine Jüdin?
    Bist du keine? Ich täusche mich selten. Hitler wird euch alle
umbringen, denkt an meine Worte! Ihr geht einmal in Flammen auf. So wird das
sein. Sela. Du, Karl, hättest du bloß mal Hitler umgebracht, wie ich es dir
nahegelegt habe. Aber nein! Warst dir zu fein und zu gering zugleich!
    Pierre grinste übers ganze Gesicht. Ist er gefährlich? Fragte
er Karl auf deutsch, mit zusammengebissenen Zähnen, wobei er sein Grinsen
aufbehielt.
    Ich
weiß nicht genau.
    Pierre stellte dem sonderbaren Menschen erst einmal Max und Ellie
vor. Max sei Karls Bruder, Ellie Karls und Max’ Halbschwester, und er selbst
sei hier der Chef und Ellies Verlobter. Zanoussi zog erstaunt die Brauen hoch,
als hätte er Ellie

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