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Nicht ganz schlechte Menschen

Nicht ganz schlechte Menschen

Titel: Nicht ganz schlechte Menschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Krausser
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diesen
Kreaturen. Die lieber eine etwas weniger lange Ewigkeit tot sein wollen. Und
seis auf Kosten vieler anderer. Das ist unlogisch, narzißtisch und am falschen
Ende gespart. Es muß einen Weg geben, diese Unlogik so zu verinnerlichen, daß
der Lebenswille überlistet wird. Es muß einen Weg geben, den inneren
Schweinehund allein durch logische Deduktion zu besiegen. Bis man zuletzt
voller Mut und Hingabe ein neues Leben beginnt, als ein kraft der eigenen
Gedanken geläutertes Individuum.
    Eines Abends sprach er mit Max darüber und deutete an, woran er
litt. Max schüttelte den Kopf und meinte, die Militärs in allen Zeiten hätten
mit ihren Rekruten etwas ganz Ähnliches versucht wie er nun mit sich selbst,
nämlich Wertvorstellungen, viel mehr Hilfestellungen zu etablieren, die den
Verzicht auf das Fest des Lebens erleichtern sollten. Süß und ehrenvoll sei es, fürs Vaterland
zu sterben . So habe ihre verlogenste Parole gelautet. Es nütze
nichts, den Begriff Vaterland gegen einen anderen auszuwechseln. Du hast Angst gehabt – und das war gut, ein Symptom von Intelligenz . Jetzt suchst
du nach Wegen zum Selbstbetrug? Bist du krank?
    Karl kam mit dieser arroganten, verständnislosen Argumentation nicht
zurecht und verließ schweigend das Zimmer. Pierre, den er danach um Rat fragte,
antwortete auf vertrackte Art nichtssagend. Karls Problem bestehe einzig darin,
daß er immer noch erst zweiundzwanzig Jahre alt sei, nicht dreißig oder
befreiende vierzig, und daß die Aussicht, den Rest des Lebens in Paris zu
verbringen, verführerischer wirken müsse als jeder Heldentod nach einer noch so
großen Heldentat. Deren Sinn sich erst spät erweisen würde, im ungünstigsten
Fall aber nie.
    Zuletzt bat Karl auch Ellie um ihre Meinung. Sie hörte sich seine
Offenbarungen geduldig an, stöhnte dann auf und meinte nur, er solle sich mal
nicht so haben, er könne alle Fehler machen und danach das genaue Gegenteil
davon, soviel Spielraum wie jetzt werde das Leben ihm nie mehr gönnen, nein.
Mach einfach, wasde willst, und gut ists. Und geh uns nicht auf die Nerven mit
deim’ Geseier von wegen was wäre hätte sollen sein und war nich so gewesen,
weil der Hund geschissen hat. Nur einen Fehler sollteste dir verkneifen.
    Und welchen?
    Den, danach keine mehr machen zu können. Heb dir den letzten Fehler
gut auf, für viel später im Leben.
    Karl beschloß, in Paris zu bleiben. Hier hatte er eine Art Familie,
sein Studium und wenig ernsthafte Sorgen. Hitler und Mussolini pumpten immer
mehr Geld in die Unterstützung der Nationalisten. Falls die spanische Republik
dem Ansturm nicht standhalten konnte, würde es viel sinnvoller sein, sich zu
einem späteren Zeitpunkt in einem anderen Land zu engagieren, dann vielleicht
mit einer abgeschlossenen medizinischen Ausbildung.
    Um seinem Gewissen die Zähne zu ziehen, bemühte er sich ernsthaft
darum, etwas über Milas Schicksal in Erfahrung zu bringen. Von Paris aus schien
das unmöglich. Allein, das Wesen seines Vorhabens bestand nicht in dessen
Gelingen, sondern darin, es zu beginnen. Mit allen zur Verfügung stehenden
Mitteln. Zuerst sprach er bei der Pariser Tageszeitung vor und verlangte eine
Akkreditierung als Journalist. Darüber hinaus hoffte er auf noch ausstehendes
Honorar, für den Artikel über die spanischen Frauen im allgemeinen und Ines
Rodrigo im besonderen. Marius Müller, der Redakteur, mußte ihm erklären, daß
jener Artikel aufgrund stilistischer und inhaltlicher Mängel nie gedruckt
worden sei, von daher auch kein Honorar abgegolten werden müsse. Einen
Presseausweis könne er haben, bitte sehr, aber es handle sich um ein Papier von
geringem Wert. Bleibe die Frage nach dem unterschlagenen Reisegeld. Karl
verstand nicht. Müller erwähnte das Telegramm, mit dem Karls sinnlos gewordene
Abreise zur Olimpiada
Popular im letzten Moment hatte verhindert werden sollen.
    So ein Telegramm hab ich nie erhalten. Sagte Karl.
    Müller seufzte und meinte, gut, das Gegenteil könne er ihm nicht
nachweisen. Wenn Karl aber je wieder für die PT arbeiten sollte, würde man jenes Reisegeld von seinen Honoraren abziehen. Karl
wolle bestimmt nicht als jemand gelten, der sich an den Finanzressourcen des
Sozialismus, wenn auch vielleicht versehentlich, bereichert habe.
    Karl Loewe schrieb nie wieder auch nur eine Zeile für die PT . Mit dem Presseausweis, einem dünnen grünen Karton,
ließ sich nicht einmal der freie Eintritt zu einer Sportveranstaltung
erreichen. Ein wenig aber

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