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Nicht ganz schlechte Menschen

Nicht ganz schlechte Menschen

Titel: Nicht ganz schlechte Menschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Krausser
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Späße unter die Haut und waren nicht gleich am
nächsten Tag vergessen.
    Ende Januar besuchte man zu viert die Exposition Internationale du Surréalisme in der Galerie des Beaux-Arts, wo nebst vielem anderen Salvador Dalís Taxi pluvieux (Regentaxi) gezeigt wurde. Im Fond eines alten, von Efeu umrankten Automobils
saß eine weibliche Schaufensterpuppe im Abendkleid mit einer Nähmaschine auf
dem Nebensitz. Chauffeur war eine Gliederpuppe, deren Augen von einer dunklen
Brille verdeckt und deren Kopf von einem knöchernen Haifischmaul umrahmt war.
Das Innere des Wagens wurde kontinuierlich mit Wasser berieselt, wodurch das
Kleid der Puppendame verschmutzte und ihre blonde Perücke in filzigen Strähnen
herabhing. Während Weinbergschnecken ihre schleimigen Spuren hinterließen.
    Die Kunst wird langsam richtig exzentrisch, kommentierte Pierre,
aber es gefällt mir irgendwie doch. Ellie fand es widerlich und beklemmend,
aber recht clever gemacht, sie habe ein Faible für Morbides. Max und Karl waren
beide begeistert und gebrauchten unabhängig voneinander in derselben Sekunde
den Begriff des Memento Mori.
    Weniger Eindruck machte auf alle ein Gemälde von René Magritte, an
dem sie nur wenige Sekunden verweilten. Ceci n’est pas une pipe stand da unter dem Motiv einer Tabakpfeife. Was soll das, fragte Ellie,
natürlich ist das keine Pfeife, das ist nur das Bild einer Pfeife, warum muß
man das noch extra betonen? Keine Ahnung, meinte Pierre. Max und Karl warfen
keinen zweiten Blick auf das Kunstwerk, nachdem sie es bereits mit dem ersten
als oberflächlichen Bluff abgetan hatten. Die Tonnen von Kohle, die Marcel
Duchamps von der Decke hängen ließ, fanden alle banal. Zustimmend einigen
konnte man sich in der Nachbetrachtung nur auf die Artistik und den
symbolischen Gehalt eines Delvaux und Max Ernst. Den Begriff der »Entarteten Kunst« verwendeten sie dabei alle vier recht lokker und unbefangen, und zumindest Max
meinte ihn grundpositiv. Im Fall des kaum konservierbaren Regentaxis von Dalí
fand er zum Beispiel beeindruckend, daß hier ein Künstler etwas für den Moment
schaffe und nicht an das Museum denke, das man hinterher drumherum bauen müsse.
    Karls Situation verbesserte sich insofern, als sich seine
Freundschaft zu Pierre intensivierte. Für den Hotelier war der Medizinstudent,
ganz anders als der leicht hochnäsige, grimmig-melancholische Max, ebenjener
jugendliche Kamerad, der ihm allein durch seine Gesellschaft über die Schreckensvisionen
des nahenden Alters hinweghalf. Der ihm das Gefühl gab, noch viele Jahre im
vollen Saft zu stehen. Zusammen besuchten sie das Sechs-Tage-Rennen, die
Galopper in Longchamps, einige Adult-Spektakel am Montmartre. Sie lachten und
tranken gemeinsam, unterhielten sich auch über ernsthafte Dinge wie Politik und
die Zukunft der Menschheit.
    Pierre, der bislang ein liberal-demokratischer Mensch gewesen war
und mehr aus Trägheit mit dem Strom schwamm, fand zunehmend Gefallen an Karls
Zukunftspanoptikum einer kommunistisch geeinten, gereinigten und gerechten
Welt. Die Ideen von Marx und Lenin hatte er immer nur in einer von der
bürgerlichen Presse entstellten oder verstümmelten Version verinnerlicht. Die
Größe und Nachhaltigkeit jener Gedanken beeindruckten ihn außerordentlich, und
er begriff, welchen Kitzel die, die dafür kämpften, aus ihrem Kampf beziehen
konnten. Leider reagierte er letztlich resignierend, mit frühseniler Larmoyanz.
Wäre ich mal zwanzig Jahre jünger – so redete er sich zumeist aus aller Verantwortung
heraus. Doch wie um sich reinzuwaschen, seine Pflicht zu delegieren, steckte er
Karl Geld zu, bestand darauf, er solle es nehmen, kein Gewese darum machen.
Karl akzeptierte diese Geschenke vor allem, um unabhängiger von Max’ Almosen zu
werden. Die Loewe-Brüder hatten nun einiges von der Welt gesehen und waren doch
immer noch von ihrem Konkurrenzverhältnis geprägt.
    Nach und nach, es ließ sich kaum vermeiden, bekam Karl die
sonderbaren Vorgänge im Monbijou mit, was die Vergabe der Zimmer 26 und 27
betraf. Er wohnte in einer Kammer unter dem Dach, und manchmal drangen von
unten recht eindeutige Geräusche an sein Ohr. Doch enthielt er sich jeden
Kommentars, tat nichtsahnend, blendete diesen Sumpf für sich aus. Daß er in
Barcelona mit einem Transvestiten zusammengelebt hatte, von dem ihm einmal
sogar eine sexuelle Gefälligkeit erwiesen worden war, erzählte er niemandem.
Max hätte ihn für den Rest seines Lebens damit aufgezogen.
    Alles

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