Nicht ganz schlechte Menschen
dessen Namen er nicht
mehr wußte. Er stand damals in vorderster Reihe und trug einen geladenen
Revolver in der Brusttasche. Und dachte keine Sekunde daran, sein Leben für den
Tod dieses geifernden Clowns zu opfern, der, so dachte man, dem politischen
Ruin entgegensah.
Der Frühling schmolz den letzten gelbfleckigen Schnee vom
Trottoir. Paris übertrumpfte sich an jedem Tag mit neuen Spektakeln und
Sensationen, die im Grunde aber nur die alten mit verbesserter Reklame waren.
Was anderswo vorging, darüber berichteten pflichtgemäß die Zeitungen, doch gab
es keinen Widerhall in der Bevölkerung, als wäre man der politischen
Entwicklungen müde.
Hitler
hatte Anfang Februar den Außenminister Konstantin von Neurath durch Joachim von
Ribbentrop ersetzt. Neurath hatte Hitler davon abgeraten, einen baldigen Krieg
zu beginnen, Deutschland sei dafür zu schwach. Seine Ablösung hätte Signal
genug sein müssen, alarmiert zu sein, statt dessen wurde sie als wenig
interessante interne Personalie gehandelt. Auch der Kriegsminister Werner von
Blomberg hatte seinen Hut nehmen müssen, und die Zeitungen berichteten breit
über dessen Heirat mit einem fünfundzwanzig Jahre jüngeren ehemaligen
Fotomodell als den angeblichen Anlaß des Rücktritts. Hitler setzte die
Entmachtung der Wehrmachtsführung durch und war von nun an oberster
Befehlshaber. An die Stelle des Kriegsministeriums trat das neugeschaffene
Oberkommando der Wehrmacht
unter Leitung des Hitler treu ergebenen Wilhelm
Keitel.
Max kam es manchmal vor, als sei er der einzige Bewohner
dieser so selbstverliebten Stadt Paris, der Augen und Ohren angesichts der
drohenden Katastrophe nicht verschloß.
Er mußte sich von Ellie gar den Vorwurf gefallen lassen, ein
Griesgram und Schwarzseher zu sein, ein Nörgler, Defätist. Sie sprach nun schon
ganz gut französisch und bezog aus dem Gefühl, parlanter Teil des bunten
Treibens geworden zu sein, Freude und Selbstgewißheit. Max entnahm den
Kellerregalen öfter mal eine Flasche guten Bordeaux, um sie nach Mitternacht
mit Zanoussi zu teilen, gemeinsam zu rauchen und über die Zukunft zu
debattieren.
Leider behauptete Zanoussi, daß die Zeit für Debatten abgelaufen,
von einer Ära der Tatsachen eingeholt sei. Womit er jeden Gedankenaustausch von
vornherein der Lächerlichkeit und Redundanz preisgab. Was schade war, denn
Nietzsche besaß bei den katalanischen Anarchisten einen guten Ruf, und Max
interessierte sich durchaus dafür, welche Einsichten sie aus dem Denken des
deutschen Philosophen bezogen und wie sie sie in die politische Praxis umsetzen
wollten. Zanoussi erwies sich als wenig gebildet. Er habe eine Antipathie gegen
allzu theoretische und vergeistigte Schriften. Seine Menschenkenntnis habe er
dem Studium von Menschen zu verdanken. Und der Lektüre von
Unterhaltungsromanen, die oftmals unterschätzt würden, wo sie ihre inneren
Qualitäten doch vor viel mehr Lesern beweisen müßten als all das hochgestochene
Zeug. Ein solches Denken faszinierte Max, forderte zugleich seinen Widerwillen
heraus, als müßte er sich davon abgestoßen fühlen. Der Anarchist redete
mitunter ganz vernünftig, dann wieder bekam er Schübe von pathetisch-poetischer
Logorrhöe, während derer man ihn einfach nicht ernstnehmen konnte. Der Genuß
von Alkohol schien ihn paradoxerweise zu ernüchtern.
Karl, der jede weitere Auseinandersetzung mit Zanoussi
hatte vermeiden wollen, wurde am 19. April darüber in Kenntnis gesetzt, daß
Ludovica Guardagno am Leben sei. Tags zuvor hatte Zanoussi zum zweiten Mal
überhaupt das Hotel verlassen und seine dubiosen Freunde besucht.
Die Nachrichten aus Barcelona ließen keinen Zweifel zu. Zanoussi
versprach sich Anerkennung und Dank für seine Intervention, statt dessen wirkte
Karl verstört, als würde eine lebende Mila Fragen aufwerfen, die bei einer
Toten nicht möglich oder nötig gewesen wären.
Wessen wird sie denn beschuldigt? Fragte er mürrisch.
Das weiß ich nicht. Ob sie es weiß? Oder irgendwer? Ich arbeite
daran.
Karl litt unter einem schlimmen Verdacht. Vielleicht
erfand Zanoussi all das nur. Vielleicht gab er peu à peu
Phantasie-Informationen preis, um sich einen Wert zu verleihen, der ihm den
Platz neben der warmen und nahrhaften Küche sichern half. Pierre hatte
wiederholt angefragt, wie lange der unreinliche Gast noch zu bleiben gedenke,
und jedesmal hatte Karl ihn drum gebeten, Zanoussis Duldung zu verlängern, bald
könnten Nachrichten eintreffen, die von Wichtigkeit seien.
Um
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