Nicht ganz schlechte Menschen
hat. Kann sein.
Nein, nicht deshalb. Nicht deshalb allein.
Später mischte sich noch Xavier Chapelle in die Debatte.
Er war nach seinen Flitterwochen nicht mehr ganz so entspannt und selig wie
zuvor. Und tat beleidigt, weil Pierre ihn in die Entscheidung, einen
Anarchisten zu beherbergen, nicht einbezogen hatte.
Mir wärs nen Anzug wert, wenn er bliebe, wo er hingehört.
Max schien recht zu behalten, denn in der folgenden Nacht
meldete sich Zanoussi nicht zurück. Vielleicht hat ihn die Polizei
aufgegriffen, sagte Karl. Max bot ihm eine Wette an, über fünfzig Francs.
Die könnte ich ja doch nur mit deinem Geld bezahlen, wenn ich
verliere. Das ergibt keinen Sinn.
Ein paar Stunden später dann ärgerte sich Karl, die Wette nicht
angenommen zu haben.
Nachmittags gegen drei Uhr betrat Zanoussi das Hotel. Der schöne
Anzug zeigte hier und da Rotweinflecken, Abschabungen und einen kleinen Riß am
rechten Ärmel. Er sei irgendwo hängengeblieben, entschuldigte sich Zanoussi,
und es war nicht klar, ob er den Ärmel meinte oder sich insgesamt. Er sei jetzt
müde und wolle schlafen. Wenn man ihm vorher einen Teller Suppe zubereiten
könne, einen kleinen Teller Nudelsuppe vielleicht – das wäre wunderbar. Ellie
sagte dem Koch Bescheid und beschwichtigte Max, der über seinen ruinierten
Anzug in Rage geriet.
Spät am Abend schickte Zanoussi einen der Küchenjungen
nach Karl. Der Küchenjunge gab zuerst frech zur Antwort, er sei kein
Laufbursche und dürfe ohne Anweisung des Chefs seinen Arbeitsplatz nicht
verlassen. Zanoussi reagierte sanft, mit leisem Bedauern. Der Küchenjunge,
ebenjener Luc Bouchard, der einmal im Auftrag Pierres Ellies Adresse
ausgekundschaftet hatte, zeigte sich von Zanoussis Reaktion eigentümlich
berührt, dachte um und fragte den Küchenchef, ob er vom Para Befehle
entgegennehmen müsse. Para , als Abkürzung von Parasite , das war die
Bezeichnung, die man hier unten für den Anarchisten gebrauchte, nicht nur
hinter vorgehaltener Hand. Selbst die beiden Tellerwäscher behandelten ihn mit
dem Neid und der Verachtung derer, die täglich hart für ihr Auskommen arbeiten
müssen. Man war sich nicht einig, wie der Para einzuordnen war. Offensichtlich
als Freund des Hauses, doch keines regulären Zimmers würdig. Irgend etwas also
zwischen Herr und Bettler. Gilbert, der Küchenchef, entschied, daß es
vielleicht besser sei, wenn man Karl Meldung mache. Über Karls Position
innerhalb der Hotelhierarchie war man sich hier unten, im Reich der Töpfe und
Pfannen, noch weniger im klaren.
Zwei Stunden vergingen, bevor Zanoussi endlich erzählen konnte,
hustend, denn er hatte sich erkältet, was er in Sachen Ludovica Guardagno erreicht hatte.
An Handfestem war dies nicht allzuviel. Karl bekam anfangs
den Eindruck, daß Zanoussi sich nur wichtig machen wolle. Nach und nach begriff
er dann, mit welchen Schwierigkeiten die Recherche verbunden war. Zanoussi
hatte Kontakt zu alten Kameraden geknüpft, die ihm, als einem, der aus Spanien
glücklich geflohen war, mehr Skepsis als Vertrauen entgegenbrachten. Er habe
eine ganze Nacht saufen, tanzen und Reden halten müssen, bis man von seiner
Loyalität leidlich überzeugt gewesen sei. Daß er sich nach einer jungen
Kommunistin erkundigte, angeblich nicht einmal aus eigenen Motiven, wofür es
noch ein gewisses Verständnis gegeben hätte – all das habe die Sache so delikat
und anrüchig gestaltet.
Karl unterbrach ihn ungeduldig. Und?
Naja, meinte Zanoussi. Das Notwendigste sei in die Wege geleitet.
Der SIM habe in Barcelona zwei Hauptgefängnisse, in
der Calle Zaragoza und im Seminar Conciliar. Wenn Mila dort gefangengehalten
werde oder gefangengehalten worden sei, bekäme er alsbald eine Nachricht. Und
im Falle ihres Todes würde eine andere Quelle antworten. Im Moment müsse man
abwarten. Die Kontakte nach Spanien über Kurzwellensender seien chiffriert, das
funktioniere nicht auf dem normalen Postweg.
Dann weißt du – im Endeffekt – nichts?
Zanoussi schwieg. Obschon er den jungen Deutschen, er wußte nicht
einmal, warum genau, liebgewonnen hatte, ging der ihm manchmal auf die Nerven
mit seiner Attitüde, von anderen soviel mehr zu fordern als von sich selbst.
Zanoussi sah tief in sich hinein und weit in der Zeit zurück. Vielleicht war er
Karl einmal recht ähnlich gewesen. Tatsächlich hatte er im Jahr 1929 mehrere
Wochen in Berlin verbracht und hätte die Möglichkeit gehabt, auf Hitler zu
schießen. Das war bei einer Rede in einem großen Park,
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