Nicht ganz schlechte Menschen
eine unbekannte Tote,
sondern über sich selbst, einen Lebenden schrieb, dessen Ende nicht feststand.
Immer, wenn er für seinen Roman eine neue Seite konzipiert hatte, kamen ihm
Zweifel, ob das dort Gesagte den Tod irgendeines Baumes rechtfertigen würde.
Daß, im Umkehrschluß, ein Baum es gewagt hatte, das Leben eines anscheinend
talentierten Autors zu beenden, wirkte auf ihn weniger lächerlich-tragisch als
maliziös und rachsüchtig.
In
Berlin wurde der populärste Tennisspieler seiner Zeit, Gottfried von Cramm,
dreimaliger Wimbledon-Finalist, verhaftet und wegen einer angeblichen
homosexuellen Affäre zu einem Jahr Zuchthaus verurteilt. Der Sportler, der in
der ganzen Welt für sein Fair Play bekannt und beliebt war, hatte sich stets
geweigert, der NSDAP beizutreten.
In
Spanien eroberten die Nationalisten die Stadt Bielsa an der französischen
Grenze. Siebentausendachthundert Soldaten der republikanischen 43. Division
Barcelona
flüchteten nach Frankreich.
Die Hochzeit verlief prächtig. Nach der standesamtlichen
Trauung prozessierte man, ein bewußter Akt der Demut, zu Fuß zur lutheranischen
Kirche du
Nazaréen , wo um zwölf Uhr mittags die Ringe getauscht wurden. Es
war ein warmer Tag, nicht zu heiß, mit leicht bewölktem Himmel.
Pierre hatte etwas überraschend Max als Trauzeugen gewählt, Ellie
griff mangels anderer Möglichkeiten auf Karl zurück, der erst ablehnen wollte,
sich dann aber überreden ließ. Gegen halb drei fuhr man mit Pferdekutschen in
den Bois de Boulogne, wo es unter großen blau-weiß gestreiften Sonnenzelten
eine Art Picknick-Buffet gab und, auf besonderen Wunsch Ellies,
Gesellschaftsspiele, die sie an ihre frühe Kindheit im Berliner Viktoria-Park
erinnerten und dementsprechend albern waren, unter anderem Sackhüpfen,
Tauziehen und Eierlaufen. Nach anfänglicher Skepsis kam ordentlich Stimmung auf
unter den mehr als fünfzig Gästen, darunter auch solche, deren Freund- oder
Bekanntschaft zu Pierre oder Max über ihre regelmäßige Teilnahme an den
Sonntagabendvarietés im Monbijou entstanden war.
Karl trug die momentane Mode der männlichen Jugend, graue
Flanellhosen und kariertes Jackett. Während Max meist in einem dunklen
Samtanzug herumlief, der seiner Erscheinung etwas Unseriös-Halbweltartiges
verlieh. Ellie sah in Weiß, einer Farbe, die sie sonst im Leben nicht getragen
hatte, ausnehmend hübsch aus. Immer wieder bekam sie das Kompliment zu hören,
Pola Negri sehe ihr zwar ähnlich, reiche an ihre Schönheit jedoch längst nicht
heran. Ein Filmproduzent, Johannes
Marcowitz, ein jüdisch-deutscher Emigrant, schlug ihr gar vor, in einem seiner
nächsten Streifen mitzuwirken. Als Ellie fragte, ob es die Hauptrolle wäre,
meinte er, um eine peinliche Situation zu vermeiden, selbstverständlich, keine
andere Rolle sei ihr angemessen.
Unter den Gästen befand sich einer nicht, das war Xavier Chapelle.
Er ließ durch Blanche ausrichten, er liege mit einer Darmgrippe zu Bett. Pierre
war stinksauer, doch Ellie gemahnte ihn an die Unschuldsvermutung.
Um sechs Uhr abends fuhr man ins Monbijou , wo der große
Saal für die geschlossene Gesellschaft reserviert war. Pierre hatte für das
Bankett namhafte Köche verpflichtet, das Abendprogramm sah einen Komiker, eine
Ballettrevue (mit Josephine-Baker-Travestie-Parodie) und einem reduzierten
Swingorchester vor. Die Tanzfläche nahm sich im Verhältnis klein aus, genügte
kaum dem Ansturm, doch kamen die Tänzer um so leichter ins Gespräch
miteinander. Ein junger Mensch, ein kurzgewachsener halber Knabe mit
schmalziger Tolle, wurde von Max dabei beobachtet, wie er sich Essen in die weiten
Taschen seiner Joppe schob. Max kannte ihn vom Sehen aus der Cosy-Bar ,
hielt ihn für einen Strichjungen, den einer seiner Liebhaber hierher
mitgebracht haben mußte. Oder der auf eigene Faust und ohne Einladung hier war.
Max ließ ihn gewähren. Und führte Ellie zum Tanz, nachdem sie mit Pierre den
obligatorischen Walzer absolviert hatte.
Max galt als ausgesprochen guter Tänzer, wenn er einmal in Laune
geriet. Es gab Gelegenheiten, da er Beobachtern, die ihn nicht kannten, wie ein
fröhlicher und oberflächlicher Mensch vorkam. Er selbst bezog enormen Spaß
daraus, die Rolle zu wechseln und Fremden etwas vorzugaukeln, es machte ihm
dann nicht einmal etwas aus, als eitler Geck zu gelten; die Lust an der
Verwandlung war ein Stimulans, das jede Form gesellschaftlicher Ächtung in Kauf
nahm. Max selbst betrachtete solcherlei als Training. Die
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