Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nicht ganz schlechte Menschen

Nicht ganz schlechte Menschen

Titel: Nicht ganz schlechte Menschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Krausser
Vom Netzwerk:
Menschheit.
    Wenige
Tage später, am 12. März, zogen deutsche Truppen in Wien ein. Unter dem Jubel
der Bevölkerung wurde der Anschluß Österreichs an das deutsche Reich verkündet.
Adolf Hitler hatte sein Heimatland nicht etwa mit Waffengewalt erobern müssen,
es ergab sich ihm freiwillig. Viele seiner Anhänger hatten ihm zuvor schon
außenpolitisches Genie zugebilligt. Nun hielten sie ihn für einen Messias.
    Zanoussi blieb zwei Wochen lang beinahe unsichtbar, als
hätte er Angst, unangenehm aufzufallen. Er aß viel und las viel. Karl besorgte
ihm etliche Bücher aus der Leihbibliothek, meist trivialer Natur. Zanoussi
legte auf Tageslicht keinen gesteigerten Wert, er krümmte sich auf seine
Pritsche in einer Abstellkammer neben der Hotelküche und war damit völlig
zufrieden. Er besaß nichts weiter als die Kleider, die er auf dem Leib trug.
Ellie bot ihm von Max und Karl abgelegte Unterwäsche an und erklärte sich
bereit, seinen Kittel und sein Kopftuch auszukochen. Zanoussi wirkte von der
dringenden Notwendigkeit der Aktion nicht überzeugt und zeigte sich nur deshalb
einverstanden, um niemanden zu verärgern. Karl versorgte ihn auch mit billigem
schwarzem Tabak und suchte das Gespräch mit ihm. Er fühlte sich für Zanoussis
Anwesenheit indirekt verantwortlich und wollte die Situation, so gut es ihm
möglich war, überschauen. Dem verblendeten Anarchisten, der sorgfältig
ausgebildete Sowjetkommissare als geisteskrank titulierte, war einiges
zuzutrauen, und in der Hotelküche lagen scharfe Messer.
    Karl wurde von Zanoussis Friedfertigkeit überrascht. Vor ihm saß ein
Mensch, der mit den irdischen Dingen abgeschlossen zu haben schien, der nicht
länger darauf bestand, Teil von allem zu sein. Der abwinkte und nachgab, wenn
es zum Streit hätte kommen müssen.
    Wir, er benutzte gern den Plural, hatten einen großen Sommer voller
Hoffnung. Wir haben vielleicht versagt, aber was nun kommt, liegt außerhalb
unserer Verantwortung. Phantastisches wird geschehen. Der Bär und die Hunde,
der Rauch und das Grauen. Die Menschen werden sich zu vielen einen Todesengel
teilen müssen. Sie werden von den Flügeln fallen, hinab ins Nichts.
    So schwadronierte er in Zungen dahin, und einzig der enorme Appetit,
den er entwickelte, widersprach dem Bild eines asketisch-dunklen Propheten.
    Warum hast du mit mir reden wollen? Es war Zanoussi, der das Thema
ansprach. Während Karl sich schon damit abgefunden hatte, daß ihm ein nicht
länger ernstzunehmendes Subjekt gegenübersaß. Im Gefühl, es sei egal, doch tue
gut, erzählte er von Mila, schilderte das Glück der gemeinsamen Liebe, wobei er
ungewollt in denselben trist-verbitterten Duktus verfiel, den Zanoussi für
seine Lebenserinnerungen verwendete. Karl konstatierte mit einiger
Überraschung, daß der alte Anarchist mitunter noch fähig war, einfache und
klare Sätze zu formulieren.
    War diese Mila Parteimitglied? Das ist gut, über solche
wird Buch geführt. Andere verscharrt man einfach. Wie tote, stinkende Hunde.
Ach, und wie war ihr richtiger Name? Warte, ich sollte mir das aufschreiben.
Lu-do-vi-ca Gua – wie buchstabiert man das?
    Zanoussi deutete an, daß es vielleicht eine Quelle gebe,
dank derer man etwas über Mila erfahren könne. Näheres dürfe er natürlich nicht
sagen. Aber es sei klar, daß auch die Anarchisten beizeiten etliche Leute in
die Reihen ihrer Gegner eingeschleust hätten. Die Paranoia der Kommunisten habe
mitunter auch Gründe. Zanoussi presste alle zehn Fingerspitzen auf seine Stirn,
wie um sie beim Nachdenken in Form zu kneten. Er brummte, daß es schwer und
gefährlich sei, von Frankreich aus einen Kontakt herzustellen. Unmöglich nicht.
Karl sei ein Freund, und er wolle ihm gern einen Dienst erweisen. Die CNT und die FAI seien zwar
abgetaucht, im Untergrund aber nicht ganz ohnmächtig. Karl solle ihm ein wenig
Geld geben, er müsse telefonieren, nicht hier, auf dem Amt. Vielleicht müsse er
auch ein, zwei Telegramme senden. Sicherer wäre eine Funkverbindung. Dazu müßte
er ein paar alte Pariser Kameraden aufsuchen, und vorher seine Kleidung
wechseln, damit er auf der Straße nicht auffalle. Max lieh ihm, wenn auch
widerwillig, seinen Sonntagsanzug. Ellie nähte die Armel hoch und Zanoussi sah
überraschend schick darin aus. Zum ersten Mal seit zwei Wochen trat er vor die
Tür, ins Freie.
    Da geht er hin, meinte Max. Den sehen wir nicht wieder.
Den Anzug verkloppt er im Leihhaus.
    Er kommt schon wieder, sagte Karl.
    Ja, weil er es hier gut

Weitere Kostenlose Bücher