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Nicht ganz schlechte Menschen

Nicht ganz schlechte Menschen

Titel: Nicht ganz schlechte Menschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Krausser
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Formulierungen fasziniert lauschten und
dem gebotenen Spektakel etwas abgewinnen konnten. Marcowitz, der Filmproduzent,
hatte bereits seine Visitenkarte gezückt, um dem wilden Propheten eine
Statistenrolle anzubieten. Heinrich indes konnte nichts davon lustig finden,
seine Nerven versagten, inzwischen stand er, was den Grad seiner Betrunkenheit
betraf, Zanoussi kaum noch nach. Er spuckte dem Anarchisten ins Gesicht.
Spätestens von diesem Moment an mußte eingegriffen werden. Obschon Zanoussi zu
aller Überraschung nicht aggressiv reagierte, sondern lachte und tanzte und
sich die Spucke begeistert im Gesicht verrieb. Wer sollte daraus schlau werden?
    Karl und Max hakten Heinrich unter und schleiften ihn auf die Straße
hinaus. Er widersetzte sich wenig, wenn, dann nur mit kaum verständlichem
Gebrabbel. Ellie meinte, daß der arme Junge ungerecht behandelt werde, der
Agressor sei doch eindeutig Zanoussi gewesen, mit seinen wüsten Phantastereien.
Gespuckt hat aber Heinrich, erwiderte Max, das geht nunmal nicht. Der Junge
blieb noch ein paar Minuten torkelnd auf dem Trottoir stehen und versuchte sich
an obszöne Drohgebärden zu erinnern. Allen tat er leid, und dennoch gab man ihm
durch Gesten zu verstehen, daß er sich für heute seine nähere Zukunft anderswo
erkaufen müsse. Endlich, nachdem er noch einmal Scheiße gebrüllt hatte,
trollte er sich. Als würde ihm der noch funktionierende Teil seines Gehirns
angeraten haben, nachts auf den Straßen von Paris nicht so laut deutschen
Wortschatz zu gebrauchen.
    Zanoussi legte seine Arme um Karl. Was zuerst wie einer
freundschaftlichen Umarmung von hinten glich, erwies sich als Versuch,
jemanden, der nicht zuhören wollte, in den Schwitzkasten zu nehmen.
    Du kleiner Scheißkerl! Winde dich, wie du willst, du bekommst deine
Wahrheit!
    Rief Zanoussi. Bevor Karl ihn wie ein geübter Judoka über die
Schulter schleuderte und ihm mehrmals in die Brust und ins Gesicht trat, wobei
er ihn unverhältnismäßig leise, beinahe flüsternd dazu aufforderte, endlich und
für immer Ruhe zu geben.
    Max und Ellie standen mit offenem Mund auf der Schwelle des Monbijou und erkannten Karl nicht wieder. Sie packten ihn und hinderten ihn an weiteren
Exzessen. Zanoussi hingegen, der heftig blutete, schien alles als rustikalen
Spaß aufzufassen. Er krümmte sich auf dem Trottoir, küßte den Rinnstein und
kicherte immerzu. Bevor er denn doch, stolpernd und keuchend, das Weite suchte.
    Karl rannte, schweißüberströmt, die Treppe hinauf, als wollte er
vermeiden, sich vor irgendwem rechtfertigen zu müssen. Max und Ellie tranken
noch etwas an der Bar und beredeten den Vorfall, ohne eine Erklärung zu finden.
Max bestätigte, daß Karl in seinem ganzen Leben keinem Lebewesen, außer
vielleicht einer Fliege oder Kakerlake, etwas zuleide getan habe. All das sei
in hohem Maß rätselhaft und beunruhigend. Gegen drei Uhr schlüpfte Ellie zu
Pierre ins Bett. Er schnarchte nicht, nicht einmal leise. Sie nahm an, daß er
sich schlafend stellte – und ließ es dabei bewenden.
    Am Morgen dann stellte sie ihren Gatten zur Rede. Weshalb er sich so
verantwortungslos zurückgezogen habe, wollte sie wissen, und was genau er mit
Zanoussi zu schaffen habe. Pierre verteidigte sich mit sehr wenigen Worten. Was
sie denn meine?
    Nachdem Ellie ihn auf den neuesten Stand der Ereignisse gebracht und
er sich umständlich rasiert hatte, zog er nur eine ratlose Schnute.
    Kann ich ahnen, daß dein Herr Bruder ein Schläger ist? So kenn ich
Karl gar nicht. Und Zanoussi – daß der spinnt, wissen wir alle. Was diesen
Stricherpolen betrifft, hab ich doch – und nicht nur einmal – gesagt, daß wir
mit dem nur Ärger kriegen. Hättest ihn gleich rausschmeißen sollen.
    Ellie gab sich damit nicht zufrieden. Für sie war es offenkundig, daß Zanoussi in Pierres Leben eine
Rolle spielte, deren Art und Ausmaß ihr vorenthalten werden sollte.
    Wie er mit dir gequatscht hat! Fast wie mit nem Lakaien. Für seinen
Promilleschub berappt hat er auch nicht. Schuldest du ihm was?
    Was soll ich ihm schulden? So ist er eben. Dreist und durstig. Ihr
hättet ihn ruhig abkassieren können.
    Halt mich nicht zum Narren, Mann! Ich merks, wenn wer mich foppt!
    Ellie verfiel Pierre gegenüber zum ersten Mal in den Tonfall, mit
dem sie früher zahlungssäumigen Freiern ins Gewisssen geredet hatte. Bevor sie
richtig pampig wurde.
    Was soll denn sein? Ich hab ihn zufällig auf einer Boxveranstaltung
getroffen und ihm gesagt, er könne sonntags

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