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Nicht ganz schlechte Menschen

Nicht ganz schlechte Menschen

Titel: Nicht ganz schlechte Menschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Krausser
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gut geheizt
war, in voller Montur am Tresen. Unwirsch schob er Ellies Hand von sich. Max
riet ihm, die Contenance zu bewahren, und der Junge starrte ihn fragend an, als
kennte er das Wort nicht. Sie hat mir das doch eingebrockt, flüsterte er endlich
und in sehr weinerlichem Ton, was soll ich denn nun machen?
    Was hat wer dir eingebrockt? Worum geht es? Mensch, du verschreckst unsre Gäste!
    Ja, darum geht es euch doch nur. Eure Gäste. Danke, nein, ich finde
bessere Freunde als euch. Sprachs – und stand nicht auf. Trotzig blieb Heinrich
sitzen, als würde ihn jemand mit Gewalt festhalten.
    Trink erstmal was. Max drängte ihm ein Glas Pernod auf, das würde
guttun und wärmen und auf nüchternen Magen nicht zu schnell betrunken machen.
    Ich bin bei meinem Onkel rausgeflogen. Sagte Heinrich. Es war nicht
mehr auszuhalten. Und dieser Nazi – Schon stockte er wieder. Ellie war unterdes
mit einem Teller zum Buffet geeilt und kehrte mit ein paar Kanapées zurück.
    Ist
hier alles in Ordnung? Wollte Pierre wissen. Max beruhigte ihn.
Alles sei unter Kontrolle.
    Pierre zog Ellie dennoch beiseite und wiederholte noch einmal, mit
gar nicht übermäßig gedämpfter Stimme, daß dieser Junge nicht unter seinem Dach
wohnen werde, niemals, der bringe Unglück. Ellie hob enerviert den Blick zur
Decke.
    Irgendwo entstand Unruhe, nach der Tanzdarbietung drohte eine Art
Amüsement-Vakuum, und das Interesse galt einem späten Gast, der einen furchtbar
stinkenden Tabak rauchte, verschlissene gilbige Kleider und einen Kaftan trug.
Zanoussi war zurück, woher auch immer. Heinrich registrierte eher beleidigt als
erleichtert, daß nicht länger er im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stand. Eben
hatte er sich dazu durchgerungen, seine Geschichte zu erzählen, auch wenn sie
keine Pointe haben würde. Nun richteten Max und Ellie ihre Blicke auf das
andere Ende des Salons, wo dieser Araber herumstand, direkt neben Pierre.
    Warum war Zanoussi wieder aufgetaucht? Was wollte er hier? Sein
Selbstbewußtsein wirkte penetrant. Er pfiff den Kellner heran, bediente sich
von dessen Tablett, trank einen Weißwein nach dem anderen, ohne abzusetzen oder
dafür zu bezahlen. Hin und wieder unterhielt er sich mit Pierre, flüsternd,
aber gestenreich, wie jemand Ratschläge gibt, oder Anweisungen. Einmal schien
Pierre ihm etwas zuzustecken, aber das konnte Ellie sich eingebildet haben, zu
viele Menschen verdeckten die Sicht.
    Heinrich lamentierte inzwischen immer lauter, redete sich etlichen
Frust von der Seele. Besonders empörte ihn, daß einige politisch weniger
interessierte Umstehende anscheinend keine Ahnung hatten, worum es ging.
    Die Lage, in der sich der Junge und seine Angehörigen befanden, war
auch kompliziert, weil deren treibende Faktoren sich nicht simpel in gut oder böse einteilen ließen, höchstens in mehr oder weniger böse . Zwischen diesen Kräften zerrieben
wurden die Rechte Zehntausender Menschen, darunter auch die von Heinrichs
Eltern.
    Am
31. März 1938 hatte die polnische Regierung ein Gesetz über den Entzug der
Staatsbürgerschaft erlassen, mit dem polnische Staatsangehörige ausgebürgert
werden konnten, wenn sie seit mehr als fünf Jahren im Ausland lebten. Am 9. Oktober folgte eine Verfügung, nach der im Ausland ausgestellte Pässe ab dem
30. Oktober nur mit einem Prüfvermerk des polnischen Konsulats zur Einreise
nach Polen berechtigten. Auf diese Weise wollte die polnische Regierung
verhindern, daß in Deutschland lebende Juden polnischer Staatsangehörigkeit
massenhaft nach Polen flohen. Während die Nazis diese Personengruppe loswerden
wollten und entsprechenden Schikanen aussetzten. Berlin fühlte sich von Warschau,
wie so oft, provoziert. Am 5. Oktober wurden die Pässe der jüdischen deutschen
Reichsbürger für ungültig erklärt. Erst nachdem ein großes eingestempeltes J
den Betreffenden als Juden auswies, wurden die Pässe wieder ausgegeben.
    Soweit die Situation an jenem 16. Oktober. Heinrich hatte
inzwischen gegen seinen Vorsatz den vor ihm stehenden Pernod in einem Zug
ausgetrunken. Und gleich noch zwei hinterhergekippt, weil Max dem Barkeeper
jeweils ein Zeichen gab, das Glas bis auf Widerruf nachzufüllen.
    Sie stempeln uns ab, brennen uns ein Zeichen ins Fleisch, wie dem
Vieh.
    Max hielt das für eine dramatische Übertreibung, aber er nickte und
ließ den Jungen reden.
    Ich habe für meine Familie alles getan, was mir möglich war. Er hat
für meine Familie nichts getan, nichts, obwohl ihm so viel mehr

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