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Nicht ganz schlechte Menschen

Nicht ganz schlechte Menschen

Titel: Nicht ganz schlechte Menschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Krausser
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sei keine gute Ehe gewesen, und ihre Mutter, sagte Blanche, habe das von
Anfang an gewußt. Und betont.
    Könnte er sich etwas angetan haben?
    Könnte er. Glaub ich aber nicht. Er hat euch doch noch Geld geklaut.
    Ja, das spricht dagegen.
    Ich hab kein Geld, wenn Sie deswegen hier sind.
    Ellie schüttelte den Kopf. Geld sei ihr egal. Nicht immer und
überall, aber diesmal komplett.
    Was wollen Sie denn dann?
    Haben Sie vielleicht eine Ahnung, wo ich Zanoussi finde?
    Ellie stellte die Frage einfach so in den Raum.
    Wen?
    Zanoussi, der Anarchist. Den müsse sie doch kennen.
    Nein, kenn ich nicht. Woher denn?
    Er hat ein paar Wochen im Hotel gewohnt, als Xavier noch in Dienst
war. Xavier müsse von ihm erzählt haben.
    Der Lump hat mir nie was erzählt. Ich war ihm zu dumm.
    Was Sie aber eigentlich gar nicht sind.
    Woher wollen Sie das wissen? Ich weiß es ja auch nicht. Wenn man
dumm ist, ist man ja nicht klug genug, zu wissen, daß man dumm ist. Aber der
Lump war gewiß auch nicht sehr schlau. Was hat er mit seinem Leben gemacht! Und
mit meinem!
    Liebe Blanche, übertreiben Sie mal nicht. Sie können doch sicher
irgendwo eine Anstellung finden, dann ist alles, nun, beinahe alles, für Sie
genau wie vor der Hochzeit.
    Ellie meinte es gar nicht spitz, sondern als Trost. Und erntete
einen finsteren Blick.
    Sie sagen mir, daß ich wieder da unterkriechen kann, wo ich
herkomme. Wo mein Platz ist. Während sich andere sonnen im Licht und vielleicht
von wo ganz anders herkommen als ich.
    Ellie zuckte unwillkürlich zurück. Wie war das denn gemeint? Sie
überlegte hin und her, ob sie den Satz ignorieren oder ihr Gegenüber dazu
auffordern sollte, deutlicher zu werden.
    Wie immer Sie das meinen. Sagte sie, als Kompromiß.
    Blanche deutete mit einer Hand zur Tür. Und setzte der Frechheit die
Krone auf.
    Juden schwimmen immer oben, hat mich meine Mutter gelehrt. Wir
kleinen Leute, wir bringen es am Ende zu nichts als einem Grundstück auf dem
Friedhof. Und wenn uns zwischendurch mal eine Welle nach oben spült, begräbt
uns die nächste wieder unter sich. Leben Sie wohl, Madame Geising.
    Ach, so war das. Ellie war gekränkt und schwer erleichtert zugleich.
Jemand, gewillt, ein wenig Geld zu investieren, wäre leicht dazu imstande
gewesen, in Berlin etwas über ihr Vorleben herauszubekommen. Für einen dort
ansässigen Detektiv eine Kleinigkeit. Immer hatte Ellie diese Möglichkeit im
Hinterkopf gehabt wie einen Tumor aus Furcht.
    Sie hatte sich für den Fall der Fälle bereits eine Verteidigung
zurechtgelegt. Das, was auch immer gegen sie vorgebracht werde, sei erfunden
und erstunken, von maliziösen Kreaturen, die einmal etwas mit ihr hätten
beginnen wollen und leer ausgegangen seien. Natürlich habe sie sich, als
junges, neugieriges Mädchen, dem Glanz, der Faszination der sündhaften
Metropole nicht komplett entziehen können. Zumal sie einst mit einer gewissen
Hübschheit ausgestattet gewesen sei, mit der kokett zu spielen, hier und da,
ihr nicht vorgehalten werden dürfe. Mädchen, im Frauwerden begriffen,
probierten nunmal dies und jenes aus, begehrten ihren Marktwert zu erfahren auf
dem Rummelplatz der Oberflächlichkeiten. Das allein sei in keiner Weise zu beanstanden. Was darüber
hinausgehe, entstamme enttäuschten Begehrlichkeiten, Männerrachephantasien der
übelsten Art, böswilligen Verleumdungen und/oder Küchentratsch. Stets habe sie
ihre selbstgesteckten Grenzen, die andere überrennen wollten, verteidigt,
standhaft, mit Klauen und Zähnen. Manchmal allerdings, so hätte ihr äußerstes
Zugeständnis an mögliche Vorwürfe gelautet, habe sie es mit roher Gewalt zu tun
bekommen, der kein weibliches Wesen anders hätte entgegentreten können, als
sich, stumm duldend, in Todesangst, hineinzuschicken und zu leiden. Jene
schwarzen Viertelstunden habe sie denn auch aus ihrer Erinnerung als zu
schmerzhaft gestrichen – und nur ein Schuft, eine ganz und gar unsensible
Existenz, würde sie zwingen, all dies Erlittene noch einmal hervorzuholen aus
der Asservatenkammer des Verdrängten.
    Antisemitische Sticheleien waren dagegen bedeutungslos. Und dennoch
wollte sie Blanches boshafte Selbstgefälligkeit nicht unkommentiert lassen.
    Ich bin Protestantin. Mein Vater war Jude, das stimmt, aber nur von
Geburt, später dann nicht mehr. Und auch wenn ich Jüdin wäre, würde allein
zählen, ob ich dumm bin oder klug, ob ich ein guter Mensch bin oder eben nicht.
    Eine halbe Jüdin und noch ein halber Jude machen einen ganzen.

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