Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nicht ganz schlechte Menschen

Nicht ganz schlechte Menschen

Titel: Nicht ganz schlechte Menschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Krausser
Vom Netzwerk:
möglich gewesen
wäre als mir. Dieses Schwein, dieses feige Nazischwein.
    Wer? Edüaar? Max gebrauchte stets die französische Aussprache des
Namens, um Ellie, die stumm zuhörte, sublimen Sticheleien auszusetzen.
    Er ist doch nur ein ganz kleines Licht, mal im Ernst, was soll
Edüaar denn tun für dich, wenn er sich nicht selbst kompromittieren will? Hat
er dir jemals was versprochen?
    Ja. Er hat versprochen, nun, er hat gesagt …
    Was nun? Versprochen oder gesagt?
    Das ist doch egal! Haltet ihr Deutschen denn immer zusammen? Er
wollte sich für meine Familie verwenden. Das hat er gesagt. Ich schwöre es.
    Wie naiv bist du eigentlich? Ich hätte an seiner Stelle dasselbe
gesagt. Aus Höflichkeit oder Mitleid. Oder Berechnung. Es gibt tausend Gründe
für Menschen, dies oder jenes von sich zu geben.
    Aber ich habe umgekehrt etliches für ihn getan. Etliches! Ausgenutzt
hat er mich.
    So ist die Welt. Gewöhn dich dran! Max wollte darauf hinaus, und er
meinte es gut, daß der Junge sich in Anbetracht des hereinbrechenden
europäischen Nihilismus auf seine Ressourcen besinnen und sein persönliches
Glück feiern solle, in Paris leben zu dürfen. Wenn auch auf schwankendem Boden.
    Ich soll mich daran gewöhnen, daß meine Familie abgeschoben wird?
Und ausgeraubt?
    Du wirst dich noch an viel mehr gewöhnen müssen , raunte
nun Zanoussi, mit verfinstertem Gesicht. Schwanzlutschender Gauch. An sehr viel
mehr!
    Der anscheinend übelgelaunte Anarchist war, ein Glas Weißwein in der
Hand, durch den Saal flaniert und mußte in den letzten Minuten der Unterhaltung
gelauscht haben.
    Wovon redet dieser Mensch? Heinrich sah sich konsterniert
und hilfesuchend um. In seiner Verzweiflung hatte er gehofft, an diesem Ort auf
Zeitgenossen zu stoßen, die ihm Trost zusprachen, die gewillt waren, wenn schon
nicht durch Taten, so doch wenigstens durch Beileidsäußerungen seine Situation
zu lindern. Statt dessen kam es Heinrich so vor, als säße er auf der
Anklagebank und müsse sich gar noch rechtfertigen dafür, nicht mit allem
einverstanden zu sein, was das gottlose Schicksal sich für ihn und die Seinen
ausgedacht hatte.
    Zanoussi, aus keinem erkennbaren Motiv, beugte sich tief zu Heinrich
herab und zog seinen Kopf zu sich, als wollte er ihn küssen.
    Schreib dir das hinter die Ohren! Oder besser auf die Eier, dann
kannst du es jede Nacht lesen beim Wichsen: Hitler wird deine Familie töten.
Eins zwei drei – vorbei. Vergiß sie am besten. Geh nach Amerika. Deine Eltern
werden in Rauch aufgehen, und du bist ein Niemand.
    Erzähl ihm doch nicht so was, protestierte Karl.
    Dann werde ich lieber mal dir was erzählen. Zanoussi ließ den blassgewordenen
Heinrich abrupt los und packte Karl am Kragen. Mein kleiner Lieblingskommunist!
    Du bist ja besoffen und stinkst aus dem Maul! Karl schlug Zanoussis
Hand weg.
    In vino veritas, Freundchen. Willst du die Wahrheit hören?
    Welche? Deine? Irgendeine?
    Nein, nicht irgendeine , nein, die ganz spezielle, die auf dich gemünzt ist. Sie riecht nicht gut.
    Worauf willst du hinaus, schrecklicher Mensch?
    Pierre, der die Autorität besessen hätte, ein Machtwort zu sprechen,
um die Konversation zu entschärfen, hatte sich mit Kopfschmerzen zurückgezogen,
da der rein gesellschaftliche Teil des Abends für geglückt und erledigt gelten
konnte. Vielleicht auch, weil er, von einer vagen Ahnung gesegnet, nicht
miterleben wollte, was vor sich ging. Oder weil es unangenehme Fragen zu
befürchten gab, nach seinem Verhältnis zu Zanoussi.
    Der wandte sich nun, weil Karl ihm nach einer Weile nicht mehr
zuhören wollte, noch einmal an Heinrich.
    Auch die Polen wollen euch jüdische Mischpoke nicht. Darum werden
sie leiden, die Juden und die Polen. Die Nordpolen und die Südpolen. Alle
werden sie überrannt werden. In den Boden gestampft. Vom Himmel wird es Feuer
regnen, und aus dem Erdreich werden Flammen schießen, Swastika und Sicheln
werden blutgetränkte Äcker umpflügen, und der Hammer saust hernieder auf die
übersehenen Kinder, die sich und ihre irregewordenen Mütter durch ihr Gegreine
verraten.
    Zanoussi war definitiv besoffen und wußte nicht mehr, was er redete.
Stalin und Hitler, sagte er, würden sich Polen teilen, der eine, pseudorechts,
fresse von links, der andere, pseudolinks, von rechts, und in der Mitte würden
sich Braun und Rot küssen. Die Juden aber würden in Massengräbern enden, mit
einem Kopfschuss bleibeschwert, zur besseren Bodenhaftung.
    Es gab Gäste, die Zanoussis

Weitere Kostenlose Bücher