Nicht ganz schlechte Menschen
gern vorbeikommen, es gehe diesmal
um Spanien, das würde ihn vielleicht interessieren. Er hat sich das Maul drüber
zerrissen, daß niemand was von Spanien versteht, außer ein paar Spaniern und
ihm selbst. Und gut, zugegeben – weil er Kippen aufgesammelt hat vor dem Ring,
hab ich ihm angeboten, er dürfe ein, zwei Gläser umsonst trinken bei uns. Er
ist mir dann auf die Nerven gegangen, ich habe Kopfweh bekommen, Ende der
Geschichte. Zufrieden?
Ellie schnaubte mißmutig. Unzufrieden mehr deshalb, weil ihr nichts
mehr einfiel, mit dem sie Pierres Darstellung in Frage stellen konnte. Dennoch
blieb das Gefühl, um eine entscheidende Information betrogen zu werden.
Max hätte sich darüber lustig gemacht. Weibliche Bauchgefühle, hätte
er gesagt, seien zur Schwangerschaftsfrüherkennung geeignet, zu sonst nichts.
Ellie beschloß, für den Moment zu schweigen. Pierre zu fragen, ob er – direkt
oder indirekt – etwas mit Xaviers Verschwinden zu tun habe, hätte dem Gespräch
einen zu wuchtigen Rahmen verliehen. Der darin wenn auch als Frage verklausulierte Vorwurf wäre vielleicht – und womöglich völlig
zu Recht – als Ungeheuerlichkeit aufgefaßt worden.
Statt dessen fragte Ellie ihren Ehemann, wo sie Zanoussi finden
könne. Sie fand es dringend nötig, sich bei ihm für Karls Gewaltausbruch zu
entschuldigen.
War das denn so schlimm?
Es hätte wer weiß was passieren können. Karl war außer sich.
Aha. Pierre kaute an seiner Unterlippe herum und zog die Stirn in
Falten. Es kam ihm wohl merkwürdig vor, daß ein Mensch, den er als friedliebend
und ängstlich, beinahe feige kennengelernt hatte, zu so etwas fähig war.
Hat er getrunken gehabt?
Nein, er war nüchtern. Gibst du mir nun Zanoussis Adresse?
Pierre schüttelte den Kopf. Jemand wie Zanoussi habe keine Adresse,
der tauche mal da, mal dort auf, wie ein Wal aus dem Meer.
Du willst sie mir nicht geben, ist es das?
Wie sie auf so einen Unsinn komme. Nein, vielleicht habe Zanoussi ja
doch eine Adresse, das sei nicht komplett auszuschließen, aber er, Pierre, habe
sie nicht. Im übrigen müsse, wenn überhaupt jemand, dann Karl selbst Abbitte
leisten. Ellie solle sich da nicht einmischen, es handle sich gewiß um eine
Sache zwischen Männern.
Ellie hielt ihren Zorn nur mühsam in Zaum. Eine Sache zwischen Männern .
Noch nie hatte sie sich von Pierre derart gegängelt gefühlt. Selbst wenn er
möglicherweise im Recht war und der Konflikt sie nichts anging, wäre ein
weniger pädagogischer Tonfall angebracht gewesen.
Max erwachte an jenem 17. Oktober um zehn Uhr morgens. Er wußte
nicht genau, weshalb, doch wie in einem großen Befreiungsschlag vernichtete er
alles, was er bis dahin geschrieben hatte, indem er die einzelnen Seiten, es
waren fünf, in Brand steckte und brennend aus dem Fenster flattern ließ.
Mittags dann begann er ein ganz neues Buch, in dem das Wort ICH kaum noch vorkam, einen Roman, ABSCHIED
VON EUROPA sollte er heißen. Im Großen und Ganzen die Geschichte zweier
Brüder, die kaum unterschiedlicher sein konnten, aber im Exil jeder auf seine
Weise mit einer unabwägbaren Ausnahmesituation fertigwerden mußten. Der eine,
leicht naive, suchte sein Heil im spanischen Bürgerkrieg, wo er wildeste
Abenteuer bestehen und schrecklichste Entbehrungen ertragen mußte, der andere,
smartere, trieb sich im Pariser Verbrechermilieu herum, zwischen
Drogensüchtigen, Geldschrankknackern und Halsabschneidern. Eigenes Erleben, dachte er, mit aller denkbaren
dichterischen Freiheit zu kombinieren, würde unglaublich spannend und
anschaulich sein. Ellie würde als Vorlage für die notwendige Frauenfigur
dienen, aber nicht als einfache Großstadtnutte, nein, als mondäner, wenn auch
leicht ordinärer männerfressender Vamp der Demimonde, eine Mischung aus Marlene
Dietrich und Mae West. Und am Schluß, nach nervenzerfetzenden Verwicklungen,
würden alle reich sein und nach Amerika gehen. Das Ganze geschrieben in einem
fiebrigen jazzhaften Staccato-Stil ohne viele Adjektive, halb Hemingway, halb
Céline, kunstvoll, doch ohne Blatt vor dem Mund und mit einem gnadenlos genauen
Blick auch für die ekligsten menschlichen Schwächen. Bis auf perversen Sex
vielleicht, damit das Buch nicht sofort verboten wurde. Binnen weniger halben
Stunden nahm das Projekt Form an, und bis zum Abend hatte Max schon mehr als
fünfzehn Seiten mit Entwürfen und rohen Ideen vollgekritzelt.
Zwischendurch wurde sein Schaffensrausch nur einmal von Ellie
unterbrochen, die
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