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Nicht ganz schlechte Menschen

Nicht ganz schlechte Menschen

Titel: Nicht ganz schlechte Menschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Krausser
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Gast, und Ihnen ist Unrecht
geschehen.
    Woher wollen Sie das wissen, Madame?
    Entschuldigung?
    Ja, vieles geschieht auf der Welt, und fast alles davon geschieht zu
Recht oder Unrecht, je nachdem, wer es beurteilt.
    Ich weiß nicht genau, was Sie mir damit sagen wollen … Wenn es
bedeutet, daß Sie meinem Bruder nicht böse sind, so freut mich das, und dennoch
wäre ich bereit, Ihnen als kleine Entschädigung für den verdorbenen Abend –
    Zanoussi schnitt ihr mit einer plötzlichen heftigen Geste das Wort
ab, als würde es sein Ohr beleidigen, egal was Ellie ihm anbieten würde.
    Ich weiß Ihre Gegenwart zu schätzen, Madame, und Ihr Anliegen ehrt
Sie, auch wenn Sie nicht, oder nicht ausschließlich, deshalb hier sind.
    Ellie wußte für den Moment ihre Verblüffung nicht zu verbergen. Dann
schloß sie den Mund, zwang sich, Zanoussi ins Gesicht zu sehen, und setzte
einen Blick auf, halb schmollend, halb erstaunt, der ihr in prekären
Situationen oft weitergeholfen hatte.
    Zanoussi tat ihr nicht den Gefallen, etwas zu sagen, er schien sich
an Ellies Unsicherheit zu weiden. Endlich griff er nach Tabak und Papier, um
sich eine Zigarette zu drehen. Und ständig schmunzelte er dabei, bis er, von
einer Sekunde auf die andere, zutiefst traurig aussah.
    Er leckte am Blättchen, rollte die Zigarette kunstvoll zwischen den
nikotingelben Fingern und schob sie sich zwischen die Zähne.
    Haben Sie vielleicht ein Zündholz?
    Nein, bedaure.
    Dann hat Ihr Hiersein keinen Zweck. Schade.
    War das ein Rausschmiß? Ellie bekam sich langsam wieder in den
Griff. Ihr fiel eine brauchbare Replik ein.
    Ja, man ist hier oder dort, und immer hat es einen Zweck oder nicht,
je nachdem, wer es beurteilt.
    Die Miene des Anarchisten hellte sich auf. Die geistvolle Parodie
seiner eigenen Worte gefiel ihm sichtlich.
    Madame, ich bin keine gütige Fee. Sie haben zwei Fragen an mich,
doch nur eine will ich beantworten. Die andere nicht. Ich bin eine geizige Fee.
    Und welche meiner Fragen würden Sie gnädigerweise beantworten wollen?
    Ellie guckte nicht mehr ganz durch in dem Spiel, das Zanoussi mit ihr trieb. Er tat, als ob er
ihre Gedanken lesen konnte. Leider war Ellie gerade selbst nicht dazu fähig,
denn ihre Gedanken galoppierten wild durcheinander, wie eine Herde verängstigter
Pferde.
    Sie fragen sich, warum Ihr Mann, den ich übrigens Ihretwegen
beneide, meine Bekanntschaft pflegt. Zweitens fragen Sie sich, warum Ihr Bruder
Karl mich mit Tritten malträtiert hat. Aber das ist Ihnen weit weniger wichtig.
    Ellie nickte, obwohl sie es eigentlich nicht wollte. Sie reagierte
wie paralysiert und nahm den Verlauf des Gesprächs willenlos hin.
    Ich hätte mich viel besser vorbereiten sollen, dachte sie immer
wieder. Jetzt ist es zu spät.
    Ich werde Ihnen etwas sagen, Karl zuliebe, den ich mag. Er weiß, was
er getan hat, ich hab es ihm am Abend erzählt, und es wird sein Leben lang an
ihm zerren und nagen, egal in welch tiefe Keller er es sperrt. Seinem Wesen
gemäß gibt er mir die Schuld, denn er ist faul und trägt nicht gerne
Verantwortung. Aber richten Sie ihm das bitte aus, ich bin nicht so. Ich
nehme seinen Teil der Verantwortung auf mich, denn ich bin alt und sterbe bald,
und er soll seine Ruhe haben.
    Entschuldigung, ich verstehe kein Wort.
    Deswegen müssen Sie mich nicht unterbrechen.
    Entschuldigung.
    Sie müssen sich nicht entschuldigen. Sie sollten einfach nur
schweigen.
    Ellie war, sofern sie noch klar denken konnte, empört, und alles
sprach dagegen zu schweigen, aber ihr fiel auch nichts ein, was sie hätte
erwidern können. Zanoussi nahm einen tiefen Zug aus seiner Zigarette, und eines
der Kätzchen rieb sich maunzend an seinen Knöcheln. Dann stieß er den halb
inhalierten Rauch aus, formte ihn mit der Zunge zu Kringeln und lehnte sich in
seinen Sessel zurück.
    Ich bin mir unsicher, liebe Ellie. Was uns bleibt, ist golden
durchsonnter Rauch.
    Ach ja?
    Die Wahrheit. Was ist die Wahrheit? Sie ist nicht da, bis sie da
ist. Wie ein Gast, über den man reden kann, bis man, in seiner Gegenwart, nicht
mehr so reden kann, als wäre er woanders. Wenn sie da ist, wird man sie nie
mehr los. Sie, liebe Ellie, sind hier, weil Karl nicht den Mut besitzt, selbst
hier zu sein. Sie wissen davon nichts und verstehen auch kein Wort von dem, was
ich sage, aber so verquer und kompliziert geht es manchmal zu auf dieser Welt.
    Ich verstehe wirklich kein Wort, hätten Sie doch bitte die Güte –
    Nein, ich bin keine gütige Fee. Es hat keinen Sinn.

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