Nicht ganz schlechte Menschen
Außer der
Organisation der Sosos, die er zugegebenermaßen noch leidenschaftlich betrieb,
wollte er mit profanen Verpflichtungen anscheinend nichts mehr zu tun haben.
Jemand wie Xavier Chapelle fehlte nun an allen Ecken und Enden, und Pierrre,
der sich selbst zu lange dem süßen Leben hingegeben hatte, begann sich langsam
Sorgen um die Zukunft des Monbijou zu machen. Er sah
sich gezwungen, den Chefkoch zu entlassen, weil etliche Abrechnungen nicht
stimmten, die Max hätte überprüfen müssen. Wenn er Ellie davon in Kenntnis
setzte, setzte die einen sehr gelangweilten Blick auf, als ginge sie
derlei doch bitte nichts an. Tatsächlich gab es keinerlei Grund, in Panik zu
verfallen. Das Hotel stand insgesamt ganz gut da, und die Reserven aus dem Erbe
Julies, fast vierhunderttausend Francs, bildeten ein weiches Ruhekissen für alle
aufflatternden Ängste. Was Pierre denn doch nicht gut schlafen ließ, war einzig
Ellies undurchschaubares Verhalten ihm gegenüber. Mal ließ sie ihn, im engsten
Sinne des Wortes, an sich abtropfen, mal gönnte sie ihm wieder die Gnade, sich
ihres Körpers zu bemächtigen. Und immer hatte Pierre das Gefühl, seine
ferngelenkte Gattin sei nicht mit ganzem Herzen bei der Sache, befolge
Instruktionen einer fremden, unbekannten Macht. Er war mit Ellie nicht mehr
glücklich, und sie wohl auch nicht mit ihm. Sollte er ihr das sagen? Sie darauf
ansprechen? Ihr Vorwürfe machen? Oder gab es in jeder Ehe solche Kälte-Momente,
die auszusitzen waren, überwunden werden mußten?
Spät erst wandte sich Pierre direkt und sehr offen an Max und bat
ihn um freundschaftlichen Beistand, forderte von ihm Auskunft darüber, wie
Ellie ticke, wie er die korrodierte Beziehung zu ihr neu verschärfen könne.
Wobei er sich wie ein Idiot vorkam. Zumal, als Max sich sperrig gab und
Bedenken äußerte. Er wolle sich da mal lieber nicht einmischen, es gehe um eine
Sache zwischen Eheleuten. Er als Junggeselle sei da der falsche
Ansprechpartner, weil zu unerfahren.
Du bist ein falscher Fuffziger, entfuhr es Pierre.
Max tat, als sei ihm das weithin egal, er zeigte sich sogar froh
darüber, daß Pierre ihm einen Vorwand bot, die Debatte abzubrechen. Erst als er
die Kaskade der Konsequenzen in Betracht zog, ruderte er zurück, nannte Pierre
einen Kameraden und bot ihm eine Art Versöhnung an. Ellie, sagte er, schätze
Blumen, mehr aber noch geschmolzenen Harzer Käse auf gebratenem Gemüse. Harzer
Käse werde in Paris nicht verkauft, die Franzosen wüßten nicht einmal, daß
etwas wie Harzer Käse überhaupt
existiere. Ellie funktioniere im Grunde erschrekkend einfach, resümierte
Max. Wobei er Pierres unentschlossenen, beinahe hilflosen Gesichtsausdruck
genoß.
Meinst du das ernst?
Naja, im Grunde schon. Bereite ihr eine Freude. Sie denkt, du
denkst, daß du sie seit eurer Heirat im Sack hast und mit ihr machen kannst,
was du willst. Aber um die Liebe muß man jeden Tag neu kämpfen.
Pierre versprach, darüber nachzudenken. Den Vorschlag mit dem Harzer
Käse verfolgte er dann doch nicht weiter. Aber einen riesigen Strauß roter
Rosen ließ er ihr liefern, samt einem Kärtchen, auf dem er um Verzeihung bat.
Ellie zeigte sich gerührt, genau wie Max es ihr vorgeschlagen hatte.
ABSCHIED VON EUROPA
Am
4. April 1939 erhielt Ellie einen höchst eigenartigen Brief von Jean Zanoussi.
Er habe zwei Kätzchen abzugeben und würde sie gerne Ellies Obhut
anvertrauen. Mehr sei ihm nicht geblieben an irdischen Besitztümern. Mehr habe
er auch nie angestrebt.
Einmal hatte ich Gelegenheit, etwas wirklich Gutes zu tun. Passé. Im
Nachhinein gibt es kein Ziel. Liebe Ellie, der Ernst der Stunde wirft auf Sie
keinen geringen Schatten. Fliehen Sie, solange sich Gelegenheit bietet, in die
Sonne. Für heute adieu, und danke für die wenigen schönen Sekunden letzthin,
als ich mit meinen Gedanken bei Ihnen sein durfte. Wir sind die Hölle und der
Ausweg. Für große Worte hatte ich nie Kraft genug. Ich grüße Sie.
PS : Die Katzen haben keine Namen. Das ist sinnlos. Es wird, wie immer,
Zeit.
Ellie reichte den Brief an Pierre weiter, der Zanoussis
Wohnung von der Gendarmerie aufbrechen ließ. Der Anarchist hatte sich, eine
bemerkenswerte Form des Suizids, die Kehle durchschnitten. Die hungernden
Katzen mußten sich tagelang von Blut ernährt haben, ihre rotverschmierten
Mäuler wirkten wenig niedlich. Man wusch die Tiere, duschte sie ab, bevor sie
Ellie übergeben wurden. Die an ihnen sofort Gefallen fand.
Wie
Zanoussi begingen im Jahr
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