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Nicht ganz schlechte Menschen

Nicht ganz schlechte Menschen

Titel: Nicht ganz schlechte Menschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Krausser
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1939 viele Selbstmord, die den Untergang der
spanischen Republik, die Trägheit der Demokratien und den braun-schwarzen
Triumphzug nicht ertragen konnten. Eines der prominentesten Beispiele war der
Schriftsteller Ernst Toller, der sich in New York erhängte.
    Ein als erwerbslos geltender Vorbestrafter, ein politisch
radikaler Wirrkopf wie Jean Zanoussi interessierte die Polizei höchstens
insofern, als sie ihn von der Liste der üblichen Verdächtigen streichen konnte.
Der Fall hätte weiter kein Aufsehen erregt, wären in seiner stinkenden Bude
nicht die Papiere des vermißten Xavier Chapelle gefunden worden.
    Damit war ein Bezug Zanoussis zum Hotel Monbijou hergestellt, und der zuständige Lieutenant de Police , Odilo Perec, richtete an Pierre
Geising einige unangenehme Fragen. Pierre gab sofort zu, den Anarchisten
gekannt und mit Nahrungsresten versorgt zu haben, auch habe Zanoussi, das sei
schon eine Weile her, ein paar Wochen lang in einem Verschlag unten in der
Küche gehaust.
    Weswegen? Fragte der verdutzte Perec, ein fettleibiger, kurzatmiger
Mensch, der kurz vor der Pensionierung stand und für eine eher gemächliche
Vorgehensweise bekannt war.
    Mitleid. Pierre gab an, er habe den Mann interessant, ja amüsant
gefunden.
    Dann ist er Ihr Freund gewesen?
    Das könne man so nicht sagen, nein, dazu gehöre schon etwas mehr.
    Haben Sie irgendeine Erklärung, warum sich Chapelles Papiere im
Besitz von Zanoussi befanden?
    Nein. Nicht die geringste.
    Vor dem Fenster entlud sich ein heftiges Unwetter, es regnete wie
aus Kannen. Perec akzeptierte die Einladung zu einem kleinen Glas Bier. Den
zuvor angebotenen Cognac hatte er noch abgelehnt.
    Es gibt ja nun zwei Fragen, die ich mir stelle. Erstens, wie er in
den Besitz dieser Papiere gelangt ist. Zweitens, warum er sie nicht verbrannt
hat.
    Ja, eben, meinte Pierre, er hat sie nicht verbrannt, also
mußte er wohl kein schlechtes Gewissen ihretwegen haben.
    Ja, das klingt logisch. Perec nippte vom Bier und wischte mit dem
Handrücken über seine schweißbedeckte Stirn. Man könne natürlich auch
überlegen, ob er mit der Nichtbeseitigung jener Papiere eventuell eine
Botschaft hinterlassen wollte.
    Eine Botschaft? Welcher Art?
    Nun, ein Geständnis selbstverständlich. Bisher sind wir davon
ausgegangen, daß Chapelle sich wegen seiner Schulden aus dem Staub gemacht hat.
Jetzt aber deutet vieles auf etwas, hmm, anderes hin. Ohne gültigen
Ausweis kommt man heutzutage nicht weit. Die Vermutung liegt da doch nahe, daß
Chapelle nicht mehr unter den Lebenden weilt. Oder etwa nicht?
    Pierre erschrak. Vor seinem geistigen Auge zeichnete sich eine Hausdurchsuchung ab, eine Überprüfung
der Bücher, eine Befragung der Gäste, lauter Unannehmlichkeiten. Schnell würde
man herausfinden, daß er und Xavier einander zuletzt spinnefeind waren,
und dann – dann – stünden allen möglichen Theorien die Türen offen. Pierre
bemühte sich darum, gelassen zu bleiben. Es könne sein, sagte er, wobei er jede
Silbe zweimal mit der Zunge auf Glaubwürdigkeit prüfte, es könne sogar sehr gut
sein, daß Chapelle und Zanoussi – nun …
    Nun?
    Der Anarchist
habe, unnötig eigentlich, das zu erwähnen, Beziehungen zum Untergrund gehabt.
Sicher auch zu Fälscherwerkstätten. Vielleicht habe Chapelle sich eine
neue Identität verschafft, mit Hilfe Zanoussis.
    Interessant! In der Tat. Sagen Sie mal, wenn Sie wußten, daß
Zanoussi über solche Beziehungen verfügte, warum haben Sie das nicht den
Behörden gemeldet?
    Ähm. Naja.
    Pierre wurde schmerzhaft bewußt, daß er gerade dabei war, sich um
Kopf und Kragen zu reden. Jetzt jedoch abrupt zu schweigen, wäre ihm noch ungünstiger
ausgelegt worden. Draußen stürmte es, und alle paar Sekunden war Donnergroll zu
hören.
    Sie haben schon recht, beschwichtigte er Perec. Aber ich wußte
nichts sicher ,
es gab Gerüchte – und Zanoussi war alt, ein Wrack, geistig wie körperlich, man
konnte ihn nicht ernst nehmen, er hat seine letzte Kraft in Barcelona
verbraucht, redete viel Unsinn daher. Ich hatte in keinem Moment das Gefühl, es
könne von ihm irgendeine Gefahr für die Allgemeinheit ausgehen. Ist das Bier
kalt genug?
    Perec nickte und machte sich auf einem Block Notizen. Dann bat er um
Verständnis, man müsse in jede Richtung ermitteln. Zanoussi könne, seine Schuld
vorausgesetzt, ohne eigenes Motiv gehandelt haben, im Auftrag von
irgendjemandem. Ob es zuviel Mühe bereiten würde, fragte er, eine Liste der
Stammgäste des Hotels und des

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