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Nicht ganz schlechte Menschen

Nicht ganz schlechte Menschen

Titel: Nicht ganz schlechte Menschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Krausser
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deren einziges Auswahlkriterium gewesen war, öfter als einmal im
Hotel logiert zu haben. Nur-Besucher der Sosos wurden nicht erwähnt, weil ja
nicht ausdrücklich verlangt. Hinzu kam ein Verzeichnis der aktuell im Hotel
angestellten Bediensteten. Max und Karl fehlten auf der Liste. Sie waren im
engeren Sinne keine Angestellten, sondern Familienangehörige, die kein zu
versteuerndes Gehalt bezogen, sondern eine Art Taschengeld.
    Ellie zog sich am nächsten Morgen etwas nicht übertrieben
Schickes an, fuhr in die Préfecture de Police auf der Ile de la Cité und lieferte
Perec die Liste ab. Der zeigte sich erfreut über ihre Anwesenheit. Wenn sie
Madame Geising sei, könne sie ihm gleich eine Frage beantworten.
    Aber bitte, gerne.
    Perec zückte
seinen Notizblock. Er sei gestern noch bei Blanche Chapelle gewesen und habe
sie mit dem Namen Jean Zanoussi konfrontiert. Der Name habe ihr zuerst
nichts gesagt, dann aber sei ihr eingefallen, daß sie ihn doch schon einmal
gehört habe, und zwar – aus dem Mund von Madame Geising.
    Perec klappte den Notizblock zu. Können Sie mir das näher erläutern?
    Ellie setzte ein verwirrtes Lächeln auf. Was genau finden Sie daran
denn erläuterungswürdig?
    Perec erwiderte das Lächeln. Nun, Madame Chapelle sagt aus, Sie
hätten sie nach dem Verschwinden Xaviers aufgesucht und gefragt, ob sie wisse,
wo Zanoussi sei, der Anarchist. Und daß Xavier ihr doch sicher einmal von ihm
erzählt haben müsse. Im übrigen seien Sie sehr unruhig gewesen und
streitsüchtig.
    Das ist alles richtig. Streitsüchtig war allerdings Blanche, nicht
ich. Sie hat mich beschimpft, als Emporkömmling.
    Lassen wir das dahingestellt. Warum genau waren Sie denn nun
bei Blanche?
    Aus humanitären Gründen. Ich wollte ihr anbieten, daß sie wieder bei
uns arbeiten könne, wenn sie das wolle. Aber sie ist pampig geworden, und so
ist es dazu erst gar nicht gekommen.
    Und weshalb haben Sie sie nach Zanoussi gefragt?
    Ellie
zögerte, dann zuckte sie mit den Schultern und schwieg. Ihr fiel keine
stichhaltige Begründung ein, außer der Wahrheit. Daß sie Pierre verdächtigt
hatte, er könne etwas mit Zanoussis Verschwinden zu tun haben. Selbst
ein noch so tölpelhaft wirkendes Schweigen war besser, als auch nur eine Silbe
in diese Richtung zu äußern.
    Sie wollen nichts dazu sagen, Madame? Gar nichts?
    Naja. Es fällt mir schwer.
    Inwiefern?
    Weil ich – im Grunde – Sie brachte den Satz nicht zu Ende.
    Jetzt machen Sie mich aber schön neugierig, Madame.
    Ellie dachte fieberhaft nach. Fieberhaft, leider im wahrsten Sinne
des Wortes, suchte sie nach einer tragfähigen Geschichte. Sich jetzt, binnen
Sekunden, etwas Glaubhaftes auszudenken, schien unmöglich. Eher möglich war
vielleicht, die Wahrheit zu sagen, ohne den innersten Kern der Wahrheit
auszusprechen.
    Ich habe meinen Mann auf gewisse Weise hintergangen.
    Ach? Mit Zanoussi?
    Was Sie wieder denken, nein. Um Himmels willen. Es ist so gewesen:
Ich habe unseren Küchenjungen, Luc, dabei erwischt, wie er Zanoussi
Essenspakete lieferte. Zanoussi war mir immer schon unheimlich gewesen. Ich
wollte ihm den Umgang mit meinem Mann verbieten. Dazu brauchte ich seine
Adresse. Ich habe Blanche gefragt, die wußte sie nicht. Ich habe damals einfach
jeden gefragt, zuletzt den Küchenjungen. Der wußte sie und gab sie mir. Ich hab
ihm noch fünfzig Francs in die Pfote gedrückt, damit er dichthält. Aber er ist
sofort zu Pierre gerannt und hat ihm alles brühwarm verklickert. Wir haben uns
deswegen in die Haare gekriegt. Und wieder vertragen.
    Perec musterte sie lange, er wirkte beinahe amüsiert.
    Eben haben Sie gesagt, daß Sie diesen Luc dabei erwischt hätten, wie
er Zanoussi Essenspakete lieferte. Dann sagten Sie aus, sie hätten von ihm
Zanoussis Adresse bekommen. Wie denn nun?
    Ich bin etwas verwirrt. Sie haben recht, es war andersherum, ich
habe von ihm die Adresse bekommen und dann erst erfahren, daß er Zanoussi mit
Lebensmitteln versorgt. Aber ist das denn wichtig?
    Vielleicht nicht. Nur plagt mich das Gefühl, daß Sie mir etwas
verschweigen. Zanoussi hat Ihnen seine Kätzchen vermacht. Offenbar hat er Sie
gemocht. Obwohl Sie ihm, wie Sie behauptet haben, den Umgang mit Ihrem Mann
verbieten wollten.
    Ellie war nicht mehr fähig, klar zu denken. Natürlich hatte sie
etwas Wesentliches verschwiegen. Nämlich, daß Zanoussi zu Gast auf einer der
Sosos gewesen war und von Karl blutig getreten wurde. Und daß sie sich bei dem
Anarchisten dafür entschuldigen

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