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Nicht ganz schlechte Menschen

Nicht ganz schlechte Menschen

Titel: Nicht ganz schlechte Menschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Krausser
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gegen Ellie zu werden, ihr kämpferisches
Naturell ließe sich von dergleichen sicher nicht beeindrucken. Er solle
unnachgiebig, aber immer freundlich sein und korrekt.
    Pierre fragte sich zu Recht, wie dieser Wischiwaschi-Hinweis
umzusetzen sei, wie er unnachgiebig sein könne, wo Ellie über die schärfste
Waffe verfügte, die innerhalb jeglicher Beziehung von Wirkung war. Sie
verweigerte sich ihrem Gatten, ungeachtet dessen sexueller Hörigkeit ihr
gegenüber. Eine Schweinerei sei das, ein Unding. Er habe nunmal keine Augen für
eine andere Frau – das nütze Ellie frech aus, statt sich auf Knien zu bedanken
für seine Treue und Hingabe. Pierre stand kurz davor, Ellies eheliche Pflichten
einzufordern, in anderen Worten: sie zu vergewaltigen. Karl besprach die
entstandene Situation mit Max. Der lächelte erst nur in sich hinein, brachte
Ellie aber dazu, einen vorläufigen Frieden zu schließen. Sie möge Pierre eine
Handentspannung gönnen. Und solle sonst nichts unnötig hochschaukeln. Ruhe sei
das Gebot der Stunde, er, sagte Max feierlich, habe ein dickes Ding auf der
Pfanne, etliche Götter seien mit ihm, sie würden zu Dutzenden in seinem Kopf
hocken und ihm Hinweise geben noch und noch.
    Na dann, erwiderte Ellie, sind wir ja bestens bestückt.
    Karl lernte, gerade zur rechten Zeit, bevor ihm das Alleinsein in
der Nacht zur körperlichen Qual geriet, an der Universität ein Mädchen kennen.
Sie hieß Marguerite und war genauso alt wie er, beinahe vierundzwanzig. Sie studierte
Veterinärmedizin, was in der Zeit noch ungewöhnlich genug war, galt der Beruf
des Tierarztes doch als Männerdomäne und hart. Man mußte sich dabei auf
schlafraubende Arbeitszeiten und unappetitliche Notwendigkeiten einlassen. Es
sei denn, man wollte sich in der Stadt auf die Behandlung von Schoß- statt
Nutztieren beschränken. Das wollten allerdings viele, der Markt war
dementsprechend knapp. Marguerite war die pragmatischste und intelligenteste
junge Frau, die Karl je kennengelernt hatte. Es kam ihm nicht zu Bewußtsein,
daß sie für sich gezielt nach einem künftigen Doktor suchte und nach einem, der
garantiert beruflichen Erfolg haben würde. Von diesem Gesichtspunkt aus schien
Karl eine Bank, seine Noten ergaben zusammmengezählt eine recht niedrige Summe.
Physisch ähnelte Karl immer mehr seinem Zwillingsbruder. Die Sache mit Mila
hatte ihn stark abmagern lassen, und seine Haare trug er nun kurz, selbst den
Bart war er losgeworden, denn laut gut unterrichteten Zeitungen bevorzugte die
moderne Frau einen gesichtsnackten Mann. Und er war zu lange einsam gewesen, um
diesen Hinweis nicht ernst zu nehmen. Marguerite sprach ihn an, wie sonst nur
ein Junge das Mädchen anspricht. Karl mußte gar nicht viel tun, um nach nur
zwei Wochen den ersten Kuss zu bekommen. Ihre Ansichten waren größtenteils
vernünftig, sie gab ihre Stimme bei den Wahlen den Sozialisten, aß kein rotes
Fleisch, sehr gerne aber Huhn und Fisch. Nikotin und Alkohol lehnte sie ab,
zeigte sich umgekehrt einigermaßen tolerant. Ihre Bildung und Intelligenz
begeisterten ihn. Nicht zuletzt war sie von schlankem Wuchs, naturblond und
hübsch, auf eine etwas androgyne Art, trug eine hypermoderne Bob-Frisur, flache
Schuhe und manchmal sogar, natürlich nicht auf dem Gelände der Sorbonne, Hosen.
Ihre Brüste waren fast nicht vorhanden, aber auf das Gegenteil legte Karl
keinen übertriebenen Wert. Marguerite hätte seinem Ideal einer Gefährtin
durchaus entsprochen. Ein einziger, ernsthafter Makel blieb. Sie besaß keinen
Witz, war geistig so knochentrocken sachlich, daß sie selbst auf gelungenste
Wortspiele nicht reagierte. Für Ironie hätte selbst eine Rechenmaschine mehr
Verständnis aufgebracht. Karl war sehr gespannt darauf, wie es sein würde, mit
ihr zu schlafen. Wo es vielen jungen Paaren in Paris an einer Möglichkeit
mangelte, stand Karl ein ganzes Hotel zur Verfügung. Marguerite ließ sich
darauf nicht ein. Sie wolle unberührt in die Ehe gehen. Er könne ihr ja einen
Antrag machen und auf eine positive Antwort hoffen. Bei diesem Thema war sie
nun so unmodern wie nur möglich. Sie selbst fand sich ungebührlich forsch,
immerhin hatte sie ihm ja, nach nur vier Wochen, quasi eine positive Antwort mehr als nur in Aussicht gestellt. Karl redete
mit Engelszungen auf sie ein. Die Ehe, eine Lebensentscheidung, eine riskante
Angelegenheit, könne doch nicht bedeuten, im Laden eine Wundertüte zu kaufen,
man müsse zuvor abgeklärt haben, ob man auch geschlechtlich

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