Nicht ganz schlechte Menschen
paar Fragen, pro forma, doch sagte ihm seine
Erfahrung, daß dabei nichts herauskommen würde. Max verhielt sich wie die
jugendliche Unschuld in Person: frech und renitent, in keiner Weise kooperativ.
Um eine Einschätzung Pierres, seines Schwagers, gebeten, äußerte er immerhin
leise Zweifel, ob Ellie mit ihm das ganz große Los gezogen habe.
Wie er das genau meine?
So ungenau wie möglich. Streichen Sie das! Plappern ist Scheiße. Es
lebe die Freiheit! Ich habe zu tun.
Perec entließ den respektlosen Zeugen, wie man jemanden schnell
loswerden will. So ein Benehmen hatte er selten erlebt, und wenn, dann von
dreisten Ganoven, denen schon alles egal war. Diesem jungen Deutschen war
überhaupt nichts egal, er war ein Künstler, oder wollte es, schlimmer noch,
werden.
Max prahlte vor den anderen damit, den richtigen Tonfall gefunden zu
haben, mit dem man Belästigungen von sich fernhielt. Er schien mit seinem Roman
gut voranzukommen und gab sich unangreifbar. Beseelt und beherzt von seinem
schöpferischen Auftrag. Es wäre ihm kaum je eingefallen, daß er sich dadurch
unbeliebt machte. Erst als Ellie ihn darum bat, Mäßigung zu zeigen und hin und
wieder, seien es auch plump vorgetäuschte, Selbstzweifel zu äußern, begriff er,
wie empfindlich, auf die flügellahmen Federn getreten, talentlose Menschen
reagierten, sobald sie sich mit einem noch lebendigen Genie konfrontiert sahen.
Die nächste Soso , hatte Max beschlossen, müsse Geschichte machen. Ihm
lag an einem großen Coup. Ernest Hemingway höchstselbig solle seine Eindrücke
vom spanischen Bürgerkrieg schildern. Max stand deswegen in Korrespondenz mit
Hemingways Agenten, der ihm immer wieder versprach, eine Lesung im Monbijou sei durchaus denkbar, würde es den umtriebigen Autor in nächster Zeit nach
Paris verschlagen. Die Forderung von garantierten sechshundert Dollar
Antrittsgeld wirkte weniger abschreckend als erhellend. Endlich wußte Max, was
er selbst dereinst erwarten und in Rechnung stellen konnte. Sobald sein Roman
fertig und er ein großer Schriftsteller sein würde.
Pierre ging auf Zanoussis Begräbnis, das auf dem Cimetière Parisien
des Batignolles stattfand, mit einiger Verspätung, weil die Leiche nach der
Obduktion aufgrund eines Formfehlers nicht sofort freigegeben worden war.
Pierre wurde mehr von Neugier als von Trauer getrieben, er hoffte darauf, einen
Blick auf diverse noch lebende Pariser Anarchisten werfen zu können. Zudem
gewann er feierlichen und bedrückenden Ritualen einiges ab, sie besaßen etwas
so vehement Endgültiges, das zum Nachdenken anregte. Zanoussis Begräbnis geriet
zu einem besonders bedrückenden Ritual. Tatsächlich folgte außer Pierre niemand
dem Sarg, abgesehen von einem Mann mittleren Alters, der unschwer als Polizeispitzel
zu identifizieren war. Pierre sprach ihn prompt an. Ob er auch so enttäuscht
sei. Worüber? Daß hier so wenig Mitgefühl unterwegs sei. Der Mann tat, als
wisse er nicht, wovon Pierre redete.
Jean Zanoussi wurde bei Nieselregen in einem Armengrab beigesetzt,
ohne priesterlichen Kommentar. Ein schlichtes Holzkreuz würde fortan von seinem
Vorhandensein zeugen, einige Jahre lang, dann würde man die verblichenen
Knochen ausgraben, in ein Beinhaus werfen, danach würde ein Historiker schon Schwierigkeiten haben, zu beweisen, daß
er jemals existiert hatte. Pierre meditierte gern darüber, wie wenig am Ende
von einem Leben übrigbleibt. Anders als die Mehrzahl der Menschen empfand er
den Tod als Befreiung von allen Pflichten und Verstrickungen, als eine saubere,
grunddemokratische Lösung. Wäre da nicht die Liebe, der damit verbundene
Schmerz. Würde man nicht lieben und würde man nicht geliebt, wäre der Tod ein
Klacks. Pierre, den Max’ Vorhaltungen, er wäre obrigkeitshörig und rückgratlos,
nachhaltig beleidigt hatten, wandte sich an den Polizeispitzel, bat ihn um eine
Stellungnahme, gerade in dem Moment, als Zanoussis schlichter Kiefernsarg in
die Erde hinabgelassen wurde.
Es ist doch so, oder nicht?
Es ist was
was ?
Gute Frage – was genau ? Aber sehr viel und in jedem Moment!
Bitte sehr.
Da redeten
zwei aneinander vorbei. Pierre blieb lange regungslos am Grab stehen, so
lange, bis der Spitzel schließlich aufgab und als erster den Friedhof verließ.
Ein alberner Sieg.
Pierre hatte keine Ahnung, welche Schwertspitze über seinem Haupt
baumelte. Auf Perec wirkte sein Benehmen deswegen aufreizend, als fast schon
frech-durchtriebene Masche. Ihn konnte er damit nicht
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