Nicht ganz schlechte Menschen
wollte. Spielte das eine Rolle?
Sie quälen mich, Monsieur. Was möchten Sie denn von mir hören? Ich
bin einmal in Zanoussis Wohnung gewesen, es hat fürchterlich gestunken, er
redete krankes Zeug und fand mich wohl, naja, apart, ich habe daraufhin sofort
das Weite gesucht. Warum zwingen Sie mich, all diese Details hier auszubreiten?
Ich zwinge Sie doch nicht. Perec setzte ein besorgtes
Gesicht auf und bot Ellie eine Zigarette an. Sie lehnte ab. Aus Angst, Schwäche
zu zeigen, indem sie sich an etwas festhielt, das dünn war und in Rauch
aufging.
Es ist nur so, Madame, daß ich mir am Ende eines Tages nicht wie ein
Idiot vorkommen möchte. Haben Sie bitte ein wenig Verständnis für mich, dann
habe ich umgekehrt auch sehr viel Verständis für Sie.
Aha, dachte Ellie. Jetzt gibt er den Netten, Entgegenkommenden.
Plötzlich schien ihr das Situationsmuster vertraut, sie gewann etwas
Selbstsicherheit zurück.
Dann sagen Sie mir doch einmal, bitte, was genau Sie für
möglich halten! Xavier Chapelle, ein drogenkranker Spielsüchtiger, hat uns
zweitausend Francs aus der Kasse geklaut. Sollen wir deswegen irgend etwas
damit zu tun haben, daß seine Papiere sich beim toten Zanoussi finden? Sagen
Sie mir das! Falls es verboten ist, daß ein Selbstmörder mir zwei namenlose
Katzen vererbt, sagen Sie mir das!
Perec wirkte beeindruckt. Nun war es an ihm, mit den Schultern zu
zucken und zu schweigen. Er guckte da nicht durch, und allmählich stellte sich
die Frage, ob da durchzugucken den Aufwand wert war.
Wie so oft im Leben, entschied die unmittelbare Sympathie. Ellie
Geising war eine hübsche Frau mit entwaffnendem Akzent, und obgleich es noch
viel zu bohren und zu wühlen, etliche Lügen und Halbwahrheiten zu entlarven
gab, resignierte Perec. Letztlich war ihm relativ egal, ob ein Subjekt wie
Xavier Chapelle tot war oder nicht, es gab weißgott Wichtigeres. Laut
Aktenvermerk galt das Monbijou als kulturell verkappter Tukkentreff. Darum
sollte sich bei Gelegenheit die Brigade Mondaine kümmern, die Kollegen von der Sitte. Er,
Odilo Perec, hatte in den vierzig Jahren seines Staatsdienstes genug geleistet,
um erhobenen Hauptes in Rente zu gehen. Er mochte nicht mehr ohne dringenden
Grund Dreck unter den Fingernägeln von Leuten hervorkratzen, die er eigentlich
recht putzig fand. Mit einer knappen Verbeugung geleitete er Ellie Geising zu
seiner Bürotür und wünschte ihr noch einen sonnigen Tag.
Am nächsten Morgen, nachdem er sich beim Rasieren
geschnitten hatte, dachte Perec um und bestellte den Küchenjungen zum Verhör.
Luc Bouchard bestätigte im wesentlichen Ellies Angaben. Danach gefragt, was er
vom Charakter seines Chefs halte, äußerte sich der inzwischen Achtzehnjährige
überschwenglich lobend. Pierre Geising sei ein korrekter, hilfsbereiter Mensch,
der auch mal fünfe gerade sein lassen könne. Seit dem Verlust seiner ersten
Frau, Julie, habe er eine gewisse Pingeligkeit abgelegt und gegen gesteigerte Lebenslust
eingetauscht. Zanoussi sei von ganz anderem Schlag gewesen, vor ihm hätten alle
Angst gehabt, als er wochenlang unten neben der Küche hauste. Ein
alttestamentarischer Irrer, ein selbsternannter Prophet.
Monsieur Geising hatte aber keine Angst vor ihm?
Nein, anscheinend nicht.
Auf die Frage, ob Geising Zanoussi nur mit Essensresten, nicht auch
mit Geld versorgt habe, wußte Luc keine Antwort. Wer könne das ausschließen?
Und ich nehme an, Monsieur Geising ist glücklich mit seiner neuen
Gattin?
Das nehme ich auch mal an. Luc beschloß, in diesem Punkt diskret zu
bleiben, obwohl alle vom Personal wußten, wie oft Ellie bei ihrem Bruder Max
übernachtete. Und sich das Maul darüber zerrissen.
Perec kramte in den vor ihm liegenden Notizen. Er zog eine Aussage der
Mutter von Blanche Chapelle hervor. Sie hatte angegeben, daß Xavier Chapelle
von seiner Frau gefordert habe, sie solle ihr Haar wie Ellie Geising tragen.
Ja, daß Xavier auf Ellie Geising fixiert gewesen sei.
Davon höre ich zum ersten Mal, sagte Luc.
Xavier Chapelle hat sich also weitgehend korrekt verhalten gegenüber
Madame Geising?
Mir ist nichts Gegenteiliges bekannt. Wenn es auch schwer fällt, zu
behaupten, Chapelle habe sich irgendwo korrekt verhalten.
Hat er das sonst nicht?
Iwo. Zum Schluß hat er doch nur noch gearbeitet, wenn ihm alles
andere zu langweilig war. Meistens befand er sich nicht einmal im Haus, sondern
trieb sich irgendwo rum.
Wie lange ging das so?
Einige Monate.
Das fand Perec merkwürdig. Erneut
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