Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nicht ganz schlechte Menschen

Nicht ganz schlechte Menschen

Titel: Nicht ganz schlechte Menschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Krausser
Vom Netzwerk:
zugeht.
Stell dir vor, Papa hat seinen Posten als Chordirektor wieder, und das Klavier
mußten wir auch nicht verkaufen. Dank Franco können wir sogar auf eine
Entschädigung hoffen für die Not in der Zeit des Chaos.
    Endlich kehrt in der Stadt wieder so etwas wie Normalität ein.
Die Monate des roten Terrors waren schrecklich und haben die Menschen sehr
verändert. Das Land muß wieder aufgebaut werden, und wenn ich auch dieses Jahr
noch zu jung bin, in die Falange einzutreten, wird es vielleicht nächstes Jahr
klappen. Meine Eltern lassen dich sehr herzlich grüßen, wir alle werden dir
immer verbunden bleiben, gib auf dich acht,
    Dein Sebastián
    Lieutenant Odilo Perec saß währenddessen in einem
schmucklosen Büro des Palais de Justice und schilderte dem zuständigen Richter
Monsieur Robert de Courbevois alle Fakten, aufgrund derer er es für zweckmäßig
hielt, einen Haftbefehl gegen den Hotelier Pierre Geising zu erwirken. Wegen
des dringenden Tatverdachts der Anstiftung und Beihilfe zur Ermordung Xavier
Chapelles.
    Perec listete die relevanten Personen kurz auf, charakterisierte sie
grob und tat den Stand seiner Ermittlungen kund. Courbevois, der am Abend zuvor
Hackfleisch gegessen hatte, bemühte sich, den Staccato-Sätzen des Lieutenants
zu folgen.
    Ich glaube, daß Pierre Geising eine heimliche Beziehung zu seinem
ehemaligen Dienstmädchen Blanche pflegte, vielleicht sogar noch pflegt. Sie
heiratete zwar Chapelle, aus Karrieregründen, danach aber spielte sie ihm die
frigide Lustlose vor, und das Kind in ihrem Leib stammte von Pierre, mit dem
sie sich weiterhin traf. Chapelle fand das irgendwie heraus, oder zumindest
bekam er einen Verdacht. In seiner Wut schlug er Blanche, die eine Fehlgeburt
erlitt. Außerdem war er süchtig nach Rauschgift, verspielte mehr, als er besaß.
Er mußte weg. Blanche und Pierre wollten sich an ihm nicht die Finger schmutzig
machen, aber wozu auch? Sie kannten ja diesen depressiven Anarchisten, dem kein
Geld für einen gesicherten Lebensabend verblieben war. Der würde ihnen den
Gefallen gerne leisten, er hatte so viele Menschen getötet, da kam es auf einen
der ohnehin übleren Sorte auch nicht mehr an. Ich bin sicher, Zanoussi hat
Chapelle irgendwo die Kehle durchgeschnitten und ihn dann verschwinden lassen.
Blanche wohnt übrigens noch immer in der großen Wohnung, deren Miete nur bis
zum Dezember bezahlt war. Woher hat sie das Geld dafür? Pierre zahlt das. Wer
denn sonst? Und jetzt sitzt Zanoussi in seinem kleinen Zimmerchen, der Krieg in
Spanien geht verloren, sein Leben ergibt keinen Sinn mehr. Er schreibt Ellie
einen Brief. Er kann Ellie nämlich gut leiden und will ihr die Wahrheit
wenigstens andeuten. Ein wenig will er mit der Tat natürlich auch angeben. Ich
lese Ihnen eine Passage vor:
    Einmal
hatte ich Gelegenheit, etwas wirklich Gutes zu tun. Passé. Im Nachhinein gibt
es kein Ziel. Liebe Ellie, der Ernst der Stunde wirft auf Sie keinen geringen
Schatten. Fliehen Sie, solange sich Gelegenheit bietet, in die Sonne.
    Deutlicher geht es kaum. Zanoussi drückt seine Angst darüber aus,
daß Ellie falsch verdächtigt werden könnte, und rät ihr, sich auf die Seite des
Lichts zu begeben, sprich: aktiv die Wahrheitsfindung zu unterstützen, auch
wenn es um ihren Angetrauten geht, den untreuen Mistkerl. Ellie ist verwirrt
und gibt den Brief Pierre. Pierre läßt den Brief nicht einfach verschwinden und
ertränkt die Katzen, nein. Und warum nicht? Ganz einfach, weil er den Brief ja
braucht. Sehr geschickt hat sich Zanoussi selbst die Kehle durchgeschnitten.
Ohne diesen Brief sähe das nicht unbedingt wie ein Selbstmord aus, und Pierre
würde schnell in Verdacht geraten, sich eines großen Risikos und Mitwissers
entledigt zu haben. Leider, vielmehr: zu unserem Glück – hat er nicht mit
Ellies Aufmerksamkeit gerechnet. Die hatte irgendwann mitbekommen, was hinter
ihrem Rücken lief. Vielleicht
nicht alles, aber ein bißchen. Genug, um ihren Gatten zu verdächtigen. Und um
zu Blanche zu rennen und sie auszuhorchen. Und den alten Anarchisten
aufzusuchen, damit er ihr die Wahrheit sagt. Zanoussi gönnt ihr die Wahrheit
auf seine Weise, indem er die Papiere Chapelles im Zimmer herumliegen läßt. Er
hatte die Papiere behalten, vielleicht, um Pierre im Notfall zu erpressen, oder
als Trophäe, was weiß ich, ist mir egal. Blanche gibt im Gespräch mit Ellie
natürlich vor, Pierre zu hassen, beschuldigt ihn sogar, absurd genug, Xavier
ausgebeutet zu haben. Welch ein

Weitere Kostenlose Bücher