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Nicht ganz schlechte Menschen

Nicht ganz schlechte Menschen

Titel: Nicht ganz schlechte Menschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Krausser
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geschicktes Manöver. Welch durchtriebenes
Biest. Es wird schwer werden, ihr eine Mitwirkung am Mord nachzuweisen. Aber
die Verdachtsmomente gegen Pierre Geising sollten für eine Untersuchungshaft
bereits genügen.
    Hmm
hmm . Der Richter gab ein grunzendes Geräusch von sich, das man,
je nachdem, als Zustimmung oder Zweifel deuten konnte. Perec ließ sich dadurch
nicht den Wind aus den Segeln nehmen.
    Hausdurchsuchungen des Monbijou sowie der Wohnungen in der Rue Gabrielle und der
Rue Riquet, der Adresse Blanche Chapelles, werden zum Tathergang direkt nichts ergeben, da bin ich mir relativ sicher, dennoch sollten sie nicht
unterbleiben. Jetzt gilt es als erstes die heimliche Beziehung zwischen Blanche
und Pierre nachzuweisen. Menschen sind sentimental, sie heben immer etwas auf
von ihren Romanzen. Wir werden etwas finden und die beiden darauf festnageln.
Dann spielen wir sie gegeneinander aus. Früher oder später hält einer von
beiden dem Druck nicht länger stand und hängt den anderen hin.
    Hmm hmm. Wir haben aber keine Leiche, stellte Courbevois fest.
    Die brauchen wir zur Zeit auch nicht. Sobald ein Geständnis
vorliegt, findet sie sich ganz schnell.
    Mag sein. Dennoch – wie stehen wir da, wenn Chapelle plötzlich
irgendwo in der Welt wieder auftaucht?
    Das, Monsieur, halten Sie ernsthaft für möglich?
    Natürlich ist es möglich. Ganz klar ist es möglich. Vielleicht nicht
sehr wahrscheinlich, aber möglich. Was ist, wenn wir Pech haben und es gibt
kein Geständnis? Dann müßten wir einen reinen Indizienprozeß führen. Worauf
könnten wir uns stützen? Auf die kryptische, beinahe lyrische Aussage eines
kriminellen Irren? Mein lieber Perec, bei allem, was recht ist, aber eine
Untersuchungshaft Pierre Geisings kann ich nicht befürworten. Die konkrete
Beweislage scheint mir doch etwas zu dünn.
    Zu dünn ?
Perec traute seinen Ohren nicht. Warum mußte er es ausgerechnet heute mit einem
Erzliberalen zu tun bekommen, dieser fleischgewordenen Hybris eines falschen
Demokratieverständnisses?
    Ich sehe, sagte Courbevois, weder eine dringende Flucht- noch
Verdunkelungsgefahr. Es bleibt Ihnen unbenommen, jene angebliche Beziehung von
Pierre Geising zu Blanche Chapelle nachzuweisen. Dann können wir uns wieder
unterhalten. Bis dahin greift die Unschuldsvermutung.
    Aber wenigstens mit den Hausdurchsuchungen sind Sie einverstanden?
    Von mir aus. Courbevois wußte aus langjähriger Erfahrung, daß sein
Magen Hackfleisch schlecht vertrug. Aber das nutzte nichts, jedesmal wenn er
welches bekommen konnte, griff er zu. Jetzt mußte er dringend auf die Toilette,
um eine peinliche Situation zu vermeiden, er hatte keine Zeit für Diskussionen.
Eigentlich, unter etwas freieren Umständen, wären ihm sogar die
Hausdurchsuchungen überzogen erschienen.
    Perec verfluchte die Demokratie. Er wünschte sich nach Deutschland,
wo man inzwischen andere, effizientere Methoden zur Wahrheitsfindung besaß und
auch nutzte. Nun war er zu zeitraubenden Umwegen gezwungen. Aber gut, das
erhöhte den sportlichen Wert der Angelegenheit. Sein Ehrgeiz wuchs mit den
Lästigkeiten. Zuerst nahm er sich noch einmal Blanche vor, das allem Anschein
nach schwächste Glied jener Kette menschlicher Niedertracht.
    Zu diesem Zweck ging er aber nicht direkt auf sie los, sondern
suchte zuvor ihren Vermieter auf. Daß die Frau, ohne offizielle Einkünfte,
immer noch in einer Vier-Zimmer-Wohnung hauste, schien dringend
erklärungsbedürftig. Monsieur Albert Gerard, der Vermieter, ein gebrechlicher
Mann von fünfundsiebzig Jahren, bestätigte, daß der Mietvertrag zum 31. Dezember 1938 abgelaufen war. Er habe aus Kulanz vier Wochen vergehen lassen,
dann habe er Madame Chapelle eine Frist gesetzt, um einen neuen Mietvertrag
auszuhandeln oder um ihr eine weitere Frist von zwei Wochen zu gewähren, nach
denen sie die Wohnung räumen solle. Es sei aber nichts geschehen, Madame habe
ihn einfach ignoriert. Gerard seufzte und zeigte seine zitternden Hände. Er sei
alt und gebrechlich und habe wenige Nerven übrig für einen Rechtsstreit.
    Aber Sie können sich das doch nicht gefallen lassen?
    Nein, Sie haben ganz recht, gefallen lassen konnte ich mir das
nicht. Genau. Ich habe zu Madame gesagt: Hören Sie, habe ich gesagt, es muß
doch in Ihrem höchsteigenen Interesse liegen, sich eine etwas kleinere
Unterkunft zu suchen, Sie brauchen doch soviel Platz gar nicht, warum legen Sie
es auf einen Konflikt mit mir an? Sie sagte, sie wolle keinen Konflikt, aber
sie hänge

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