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Nicht ganz schlechte Menschen

Nicht ganz schlechte Menschen

Titel: Nicht ganz schlechte Menschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Krausser
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die
einzige Oper, mit der er etwas anfangen konnte. Denn mit ihr hatte er sich, auf
Anraten Nietzsches, einmal intensiv beschäftigt. Karl hatte ein Problem mit
großen Orchestern, die er als überwältigend und bourgeois empfand. Warum
letzteres, das hätte er sinnvoll nicht erläutern können. Kammermusik wirkte auf
ihn durchschaubarer, ehrlicher. Und anrührender. Ellie hingegen hatte kein
Problem damit, zuzugeben, daß sie an Musik nichts genießen könne, was über das
Niveau eines Schlagers hinauswies. Diese Beichte fanden beide Loewe-Brüder
unnötig bis peinlich, enthielten sich aber jeden Kommentars. Auch in die
Galerien pilgerten sie und betrachteten jüngste Schöpfungen der Kubisten,
Expressionisten, Surrealisten und Futuristen. Hier immerhin kam es vor, daß der
Künstler, um den es ging, bei der Vernissage anwesend war. Einmal bekamen sie
in einer Galerie am Boulevard Poissonnière den längst berühmten Picasso zu
sehen, doch weil in einem deutschen Kunstlexikon von 1929 dessen Werke als Kunstschnurrpfeifereien bezeichnet worden waren, flößte ihnen der Anblick – sowohl des Menschen wie
seiner Bilder – wenig Ehrfurcht ein. Das lag unter anderem wohl auch daran, daß
der Mensch, den sie sahen, Picasso gar nicht war, sondern ihm nur ähnlich sah.
    Karl verurteilte die ausgestellten Gemälde als mäßig begabte, wenn
auch witzige Provokation. Was daran denn witzig sein solle, fragte Ellie. Max,
nur um dem Bruder zu widersprechen, meinte, Ellie habe instinktiv recht, das
sei begabt, doch ganz und gar witzlos. Ich habe doch überhaupt nicht gesagt,
daß das begabt ist, maulte Ellie, und Max stimmte ihr zu, das habe sie zwar
nicht gesagt, es sei aber die Wahrheit, und er nehme zu ihren Gunsten immer
erst einmal an, daß sie nicht lüge. Ellie reagierte mit einem irritierten,
verständnislosen Blick. Wann hätte ich denn je gelogen? Fragte sie schüchtern.
Max, dem Ellies Unbedarftheit in diesem Moment auf die Nerven ging, antwortete,
er brauche frische Luft.
    Paris war ein Fest, das anscheinend hinter verschlossenen
Türen stattfand.
    Vielleicht, dachte Max, wurde ein ganz anderes Entree-Billett
benötigt als nur Jugend und Talent. Vielleicht mußte man erst jemand sein, und
wenn man dann jemand oder etwas war oder darstellte, würden Einladungen kommen,
an geheimnisvolle Orte, wo höhere Weihen warteten.
    Max, der der großen Welt gerne einen Passierschein vorweisen wollte,
einem geistigen Gesellenbrief ähnlich, versuchte aus dem Gedächtnis seinen
Essay über das ›Deutsche Wesen‹ zu rekonstruieren. Obwohl er sich, bis auf
wenige Passagen, des Wortlauts einigermaßen erinnerte, war die Rekonstruktion
am Ende doch weit entfernt vom Furor jener wut- und glutvollen Notwendigkeit
des Originals. Max mußte einsehen, daß es keine absolute Prosa gab, wie etwa
absolute Musik, daß jedes Schriftstück in seiner Wirkung und Bedeutung stark
von der Zeit abhing, in der es entstand oder gelesen wurde. Was eben noch
brillant und ein Juwel gewesen war, schrumpfte bald zum fast schon naiven
Kommentar zusammen, zu wertlosem Geschwätz. Keine Zeitung, der er den Essay
anbot, nahm ihn in Druck. Wobei man erwähnen muß, daß viele Redakteure den Text
höchstens überflogen, weil sie sich beim Anblick des hageren und blassen
Jünglings ihr Urteil bereits gebildet hatten.
    Jemand wie Nietzsche,
fand Max, konnte nachträglich froh sein, ein Leben lang Außenseiter, nicht
ernstgenommener Sonderling gewesen zu sein. Nur dadurch, im Exil des
heraklitischen Verborgenen, hatte er die Reinheit und Logik seiner Gedanken
adäquat in Worte kleiden können. Ohne sich der Diskussion, der Politik, dem
Zwang zu Kompromissen aussetzen zu müssen. Die Gegenwart ist, laut Zarathustra,
des Pöbels. Ihr zu Hilfe eilt man immer zu spät, denn sie ist krank und nicht
vernünftig behandelbar. Der Ausweg für eine Existenz in Würde und Schönheit
kann einzig darin bestehen, dachte Max und schrieb es in seinem
Sudelbuch nieder, sich
still und gedankenvoll, aber ohne lebensgefährdende Wunden in die Zukunft zu
retten . Wie Schiller in der Maria Stuart schrieb: Nicht der ist König,
der der Welt gefallen muß. Nur der ists, der bei seinem Tun nach keines
Menschen Beifall braucht zu fragen.
    Das hört sich ja schön an, sagte Ellie, der er es vorlas. Max strich
den letzten Satz.
    Ich muß einen Roman schreiben, dachte er. Essays reichen
längst nicht hin für diese Zeit. Ein monströses, bunt flirrendes Gewölle voll
Abscheu und Ekel, aber

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