Nicht ganz schlechte Menschen
Frau nötig habe.
Max antwortete mit einem Schulterzucken. Dafür sei er nicht zuständig, nein. Es
gebe Kontaktanzeigen.
Karl fand keine Anstellung, doch immerhin einen Weg, seine
Zeit auf einigermaßen stilvolle Art und Weise abzutöten. In einem Antiquariat
auf dem Boulevard St. Germain hatte ein Zettel im Fenster gehangen:
SCHACHPARTNER GESUCHT. BIETE KAFFEE UND ZWEI
FRANCS PRO STUNDE.
Dieser Einladung war er nachgekommen, es gab nicht nur
Kaffee und Trinkgeld, sondern auch die Möglichkeit, kostenlos Bücher
auszuleihen, die in den städtischen Leihbibliotheken vergeblich gesucht worden
wären. Der Betreiber des Antiquariats war ein stämmiger Herr mit breiten
Hosenträgern und einer nie erkaltenden Pfeife, ein Bretone, der von sich
behauptete, von seinem Geschäft recht wenig zu verstehen, was, wie Karl bald
herausfand, der reinen Wahrheit entsprach. Monsieur Jacques Marmaton, so hieß
der etwas über fünfzigjährige Besitzer, besaß nicht das geringste Berufsethos,
im Gegenteil, stets wies er darauf hin, daß das Geschäft als Teil einer
Konkursmasse in seinen Besitz geraten war – und wenn es auch nicht viel abwarf,
so bot es dem genügsamen Marmaton dank geringer Instandhaltungskosten doch ein
Auskommen. Er war unter Bibliophilen beliebt, weil er sich leicht, fast ohne
Widerstand, herunterhandeln ließ, ob aus Unkenntnis über den Wert der Ware oder
aus purer Gleichgültigkeit, das hätte Karl nicht sagen können.
Schach gegen Marmaton zu spielen war vergleichbar damit, als ausgewachsener
Mann gegen ein Kleinkind zu boxen. Karl mußte sich schwer beherrschen, um dem
Gegner nicht die Freude am Spiel zu verderben. Bis er herausfand, daß einfach
nichts Marmaton die Freude am Spiel verderben konnte. Er war ein großartiger
Verlierer, zollte dem Gegner Beifall, bewunderte sogar einfachste
Mattsetzungstechniken, die in jedem Lehrbuch auf den ersten Seiten Erwähnung
finden. Karl überstand einen kalten März und einen ziemlich kühlen Frühling,
indem er sich Marmatons heißen Kaffee gönnte, eine volle Kanne stand immer
griffbereit auf dem Kohleofen, und meist gab es noch Leckereien dazu, Kuchen,
Pralinés, Gebäck oder auch nur frisches Baguette mit Knoblauchbutter. Karl
bemühte sich anfangs, einen gewissen Prozentsatz der Spiele zu verlieren, aber
jedesmal wenn er aufgab und so tat, als gäbe es keine Rettung mehr, sah
Marmaton ihn zweifelnd, ja gar etwas enttäuscht an und impfte ihm ein
schlechtes Gewissen ein. Zuletzt ließ Karl die Mätzchen bleiben und gewann
einfach. Marmaton fand es anscheinend höchst befriedigend, an einen Spieler
geraten zu sein, der ihm haushoch überlegen war. Er mochte Karl, obwohl er
zuvor eine gewisse Antipathie gegen Deutsche gehegt hatte, denn sein Vater war
vor Verdun gefallen. Jules Marmaton, ein Oberst, nicht irgendein Soldat. Ein
Zufallstreffer aus einem Geschütz habe ihm den Kopf weggerissen, leider, aber
das höre sich schlimmer an, als es gewesen sei.
Aha, meinte Karl.
C’est la guerre, meinte Jacques Marmaton. Da ist jedes schnelle Ende
ein gutes.
Es war, unabhängig von der Jahreszeit, ziemlich düster in dem nur
von ein paar Ölfunzeln beleuchteten Laden, dem mächtige Pappeln einiges
Tageslicht vorenthielten. Ab und an wurde das Spiel durch Kunden gestört. Die
Marmaton dann aufreizend unwillig bediente. Ständig seufzend und sich räuspernd
gab er der Klientel das Gefühl zu stören, aber wenn es tatsächlich – selten
genug – zu einem Geschäftsabschluß gekommen war, wenn er einen oder zwei Bände
verkauft hatte, manchmal auch ein Ölgemälde billiger Machart, holte er aus einem
kleinen, mit Wildblumen bemalten chinesischen Kirschholz-Schränkchen eine
Flasche Orangenlikör hervor und zwei Gläser, weil doch etwas zu feiern sei.
Karl lehnte den Alkohol durchweg ab. Wenn er ihm partout aufgedrängt
wurde, nippte er zum Schein daran und schüttetete den Inhalt des Gläschens,
sobald sich eine Gelegenheit bot, ins leere Glas Marmatons. Die beiden spielten
über fünfhundert Partien gegeneinander. Marmaton hatte Karl liebgewonnen und
zögerte nicht damit, ihm dies mitzuteilen. Karl bekam Angst. Über die Maßen
sensibilisiert durch die erotischen Verstrickungen seines Bruders, sah er
Gefahren voraus, wo niemand sonst welche vermutet hätte. Die Zuneigung des
Antiquars, fürchtete er, könne in jedem Moment unschickliche, widernatürliche
Formen annehmen. Das war, objektiv gesehen, unwahrscheinlich, doch genügte der
Umstand, daß Marmaton Karl nach
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