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Nicht ganz schlechte Menschen

Nicht ganz schlechte Menschen

Titel: Nicht ganz schlechte Menschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Krausser
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Miststück, trägst du dafür die Verantwortung!
    Am nächsten Abend klopfte es und Pierre stand vor der Tür,
mit einem großen Korb voller Fressalien und Wein. Er strahlte vor Glück und
schritt ohne konkrete Aufforderung an Max vorbei in die Wohnung, gab Ellie
einen Kuß und sah sich in allen Ecken um.
    Die Bude ist gar nicht so schlecht, wie ich dachte. Habt ihr Lust
auf Kino? Oder wollen wir ein Picknick machen?
    Kino fände ich gut, sagte Max. Dort würde weniger geredet werden,
dachte er, und die Gefahr, sich in Widersprüche bezüglich der eigenen
Familiengeschichte zu verstricken, wäre fürs erste minimiert.
    Sie lösten Tickets für die Neun-Uhr-Vorstellung im Studio L’Étoile ,
wo zwei deutsche Filme in Originalfassung liefen: Man braucht kein Geld mit
Hans Moser und Liebelei ,
die Verfilmung eines Schnitzler-Stücks
mit Magda Schneider und Gustav Gründgens. Max hätte sich eher noch für La Bohèmienne ( The Boheme Girl )
begeistern können, den neuen Laurel&Hardy-Film, wollte aber keine
Abstimmung riskieren.
    Ellie saß zwischen den beiden Männern, und Max registrierte, wie
Pierre in der Dunkelheit seinen Arm um Ellie legte und sie hin und wieder
gierig auf den Hals küßte oder an einem ihrer Ohrläppchen sog, kaum zu
ertragen. Manchmal war Max danach, eine Hand auf Ellies Knie zu legen, schlicht
um Pierre zu verunsichern oder von weiteren Zuneigungsbezeugungen abzuhalten,
so wütend tobte seine Eifersucht. Dann wiederum, wenn er tief in sich ging und
seiner Gefühle noch einmal Herr wurde, konnte er der Situation durchaus etwas
Burleskes abgewinnen, das ihm half, souverän und unverdächtig zu reagieren.
Ellie bereute es schwer, sich auf derlei eingelassen zu haben. Ständig
fürchtete sie, einen Fehler zu begehen. Und im Kino nicht mit Max schmusen zu
dürfen, weil ein anderer sie in Beschlag nahm, brachte ihr erst zu Bewußtsein,
in welch konfuse Lage sie sich manövriert hatte. Was vorher so einfach zu
verwalten gewesen war, durch strikte Trennung der Sphären, wuchs nun zu einem
Geschwür zusammen, das von keiner Seite berührt werden konnte, ohne daß es
schmerzte. Stumm und duldsam ließ sie Pierre gewähren und dachte dabei doch
immer darüber nach, wie Max das auffassen mußte. An seiner Stelle hätte sie
bestimmt längst losgeschrien, laut, und dem Versteckspiel ein Ende gemacht.
    Pierre Geising ahnte nichts von alldem. Er war glücklich. Die
Zurückhaltung, die salzsäulige Steifheit seiner künftigen Braut erklärte er
sich mit der Präsenz ihres Halbbruders.
    Komm, lass uns was essen gehen. Ich lade dich ein.
    Wohin, fragte Karl. Zanoussi vollführte eine großtuerische Geste.
    Ins Ritz ,
wohin sonst?
    Und das meinte er ernst. Das beste Hotel der Stadt war teils in ein
Hospital, teils in eine Volksküche umgewandelt worden. Essen gab es nur gegen
Berechtigungscoupon, aber es wurde nicht penibel kontrolliert, zudem besaß
Zanoussi ein ganzes Bündel solcher Coupons.
    Inzwischen
war Spanien in zwei ungefähr gleich große Hälften geteilt. Die Regierung
behielt die Kontrolle über den Osten und einen schmalen Küstenstreifen im
Norden, den Aufständischen gehörte bereits der gesamte Westen. Die Front
verlief unter anderem kurz vor Madrid, das sich in republikanischer Hand
befand. Am 14. August eroberten die faschistischen Truppen nahe der
portugiesischen Grenze ein letztes republikanisches Nest, die Stadt Bajadoz.
Als Bajadoz nach schweren Kämpfen gefallen war, richteten die Sieger unter den
überlebenden Verteidigern ein schreckliches Blutbad an. In der Stierkampfarena
wurden 1200 Menschen zusammengepfercht und erschossen, insgesamt kamen bis zu
4000 Menschen, auch viele Zivilisten, zu Tode. Die Tradition, manche redeten
euphemistisch von einer
Unsitte
, der marokkanischen Soldaten, abgeschnittene
und in der Luft getrocknete Penisse der Getöteten als Trophäen zu sammeln,
wurde von General Franco anschließend verboten.
    Zanoussi hörte sich beim Essen die Geschichte an, wie Karl
in der Kaserne heruntergeputzt und abgeschmettert worden war. Ihm gefiel der
junge Mann aus Deutschland, Kommunist hin oder her. Wenigstens zeigte er eine
klare Haltung und redete niemandem nach dem Mund. Sein Prinzip, keine Waffe in
die Hand zu nehmen, war, fand Zanoussi, ein Lippenbekenntnis ohne Wert.
Spätestens wenn es einmal darum ging, sich von einem heranstürmenden Feind
erschießen zu lassen oder denn doch sein Leben zu verteidigen, würde sich
herausstellen, was dieses pazifistische Postulat

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