Nicht ganz schlechte Menschen
verunsicherte ihn nur noch mehr. Plötzlich sagte jemand, die Boote lägen
bereit. Und daß jedes Boot nur zehn Kämpfer tragen könne.
Boote? Wofür? Mit welchem Ziel? Karl war ratlos und zupfte Zanoussi
am Ärmel. Es schien aber nicht Zanoussi das Sagen zu haben, sondern jemand, der
erst ganz zum Schluß zu dem Haufen gestoßen war, ein bulliger, kurzgewachsener
Mensch mit kräftiger Stimme. Der wandte sich nun an Karl. Du bist der
Journalist?
Bin ich.
Mein Name ist Angél. Sie gaben einander die Hand. Dein Platz ist im
ersten Boot.
Die Gruppe von nun etwa fünfzig Milizionären, auch drei Frauen
hatten sich angeschlossen, legte die zweihundert Meter bis zum Hafen im
Laufschritt zurück. An einem Kai machte man halt. Im Wasser schaukelten drei
Boote mit je sechs Rudern. Es entstand ein kurzer Streit darüber, wer an Land
bleiben mußte. Karl verstand kein Wort. Zanoussi gab ihm einen Schubser. Hast
du keine Kamera dabei?
Eine Kamera? Du meinst, einen Fotoapparat?
Ja, natürlich.
Nein, habe ich nicht.
Schade. Ist dir wohl gestohlen worden?
Ja, leider, log Karl, der begriff, daß für Zanoussi ein anständiger,
ernstzunehmender Journalist einen Fotoapparat bei sich tragen mußte. Selbst in
finsterster Nacht.
Egal. Na los, spring!
Karl ließ sich vorsichtig in das schwankende Boot hinab und nahm am
Bug Platz. Es wurde sehr eng. Er zählte vierzehn Menschen pro Boot und acht,
die schließlich am Kai zurückblieben.
Sieben Männer und eine Frau. Was bedeutete, daß zwei Frauen sich auf
den Booten befinden mußten. Das beruhigte ihn. Wenige Sekunden lang. Wenn man
Frauen mitnahm, konnte es so gefährlich nicht werden. Dachte er aus alter
Gewohnheit, bis ihm einfiel, daß eine solche Schlußfolgerung unter den hiesigen
Gegebenheiten weltfremd bis reaktionär war. Die Boote legten ab. Karl hatte
noch immer keine Ahnung, wohin man aufbrach, ihm fiel kein vernünftiger Grund
ein, warum und wohin diese Nußschalen-Flotte nachts im Hafen von Barcelona
unterwegs sein konnte. Einige größere Schiffe ankerten einen halben Kilometer
vor den Hafenmauern. Darunter auch welche, deren Namen mit kyrillischen Lettern
geschrieben. waren. Wollte man etwa einen russischen Dampfer entern? Gar ein
Kanonenboot? Das wäre, selbst die Tollkühnheit der Anarchisten vorausgesetzt,
einem Himmelfahrtskommando gleichgekommen und einem ausländischen Journalisten
und Ehrengast gegenüber, um das Mindeste zu sagen, unhöflich.
Immer weiter entfernten sich die Lichtquellen Barcelonas, doch wurde
munter weiter gerudert, bis plötzlich, in der Dunkelheit mehr erahn- als
sichtbar, der metallene Rumpf eines großen Schiffes auftauchte. Der bullige,
kurzgewachsene Mann namens Angél rief etwas, und oben, an Deck, gingen Lampen
an. Karl, geblendet, blinzelte, bis seine Augen sich nach und nach an den
Lichtsturm gewöhnten. Er konnte den Namen des Schiffes lesen: Urugay .
Strickleitern wurden herabgelassen. Angél war der erste, der sich
emporhangelte, ihm folgten alle anderen Insassen seines Bootes nach, bis auf
einen, der zurückblieb, um das schwankende Gefährt in Position zu halten. Nun
war Karls Boot an der Reihe, und man überließ ihm den Vortritt. Todesmutig, um
sich keine Blöße zu geben, ergriff Karl die Strickleiter und zog seinen
untrainierten Körper nach oben, wobei ihm zwischendurch die Idee kam,
haltzumachen und um Hilfe zu bitten. Nie in seinem bisherigen Leben hatte er
vor einer ähnlichen Herausforderung gestanden, und er entschied sich dafür, die
Kletterei einfach hinter sich zu bringen, die Angst zu ignorieren. Als er von
Angél über die Reling gezogen wurde, verspürte er ein massives Glücksgefühl. So
ähnlich mußte sich Trunkenheit anfühlen. Er wußte immer noch nicht, wozu er
hier war, wo genau er überhaupt war, aber gut, das mußte vielleicht so sein. Was
spielte das für eine Rolle? Angél unterhielt sich mit dem Kapitän des Schiffes.
Soldaten in Uniform standen an Deck herum, das Gewehr im Anschlag, die
Diskussion wurde hitziger. Ein paar der Soldaten schienen nervös zu werden,
aber jemand schrie aus dem Hintergrund, daß wir alle Brüder seien. Etwas in der
Art. Nur der Kapitän, ein schnurrbärtiger Mittvierziger, schien das nicht ganz
so zu sehen, er gestikulierte und brüllte. Angél wurde ungeduldig, zog seine
Pistole und hielt sie dem Kapitän an den Kopf. Das also schon. Es ging um eine
Eroberung. Aha. Die an Deck befindlichen Soldaten wurden entwaffnet. Sie
wirkten nicht arg in ihrer Würde
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