Nicht ganz schlechte Menschen
Max’ Kopf tauchten Tausende Szenarien auf und wieder ab, wie
feiste Wale aus einem Meer von Möglichkeiten.
Ich
bringe dich um, hier in diesem Zimmer. Zerschlage dieses Glas und steche dir
mit einer Scherbe die Augen aus. Sie ist auch nicht meine Halbschwester, ist
eine Nutte, eine verlogene Nutte. Sie fickt mit mir. Und liebt nur mich. Mich,
du Hundsfott! Dich Idioten würde Ellie höchstens ruinieren, nicht heiraten. Du
bist so dumm wie Hundescheiße!
Auf Max’ zerbissene Lippen legten sich viele plausibel anmutende
Sätze, die er alle mühevoll hinunterschlucken mußte, bevor sie zuviel Atem
bekamen. Ihm war übel, der Cognac brannte in seinem Bauch, zwischen seinen
Ohren entstand eine gedankenfreie Hitze, die seinen Kopf beinahe zerplatzen
ließ. Aber außer jener Hitze war da noch etwas anderes, er nahm es wie etwas
Fremdes wahr, das seine Emotionen kontrollieren half. Er hätte es in der
Nachbetrachtung mal instinktive Vernunft, mal eine Art von verzweifeltem Schalk
genannt. Was immer zu tun war, es mußte geplant sein, bedacht. Durch
hinreichende Reflexion abgesegnet. Er mußte schnellstens hier raus, diesem
Kojoten aus den Augen.
Ja nun.
Wie darf ich das verstehen?
Verstehs
doch, wie du willst, du Kackebatzen!
Nein. Keine Aggressionen. Contenance bewahren. Später konnte man
Entscheidungen treffen, nicht jetzt.
Dann ist das nunmal, wie es ist.
Und Sie sind mir nicht böse?
Ich finde es gut, daß Sie mir reinen Wein eingeschenkt haben.
Beziehungsweise Cognac. Hervorragenden Cognac.
Willst du noch einen? Geising streckte ihm die rechte Hand entgegen.
Wir sollten uns duzen.
Max ergriff die angebotene Hand, das war nun auch schon egal.
Wir können uns gerne duzen. Wo wir ja bald verschwägert sein werden – sollte ich – finde ich, das Zimmer für hundert Francs bekommen.
Einverstanden.
Mein Auftraggeber wird trotzdem hundertzwanzig bezahlen.
Ach ja? Pierre verstand nicht.
Mit der Differenz möchte ich meinen Bruder unterstützen. Er kämpft
in Spanien.
Ah! Gute Sache! Bravo! Mon dieu, wie es mich freut, daß wir zu
dieser Aussprache gefunden haben.
Eins noch! Darf ich dich bitten, es mir zu überlassen, Ellie
davon in Kenntnis zu setzen?
Pierre runzelte ein wenig die Stirn, aber angesichts der Tatsache,
daß Ellie ihre Brüder, Halbbrüder, wochenlang hintergangen hatte, war das wohl
statthaft und sinnvoll.
Einverstanden.
Karl setzte sich an der Paralelo ins Café Español und
beobachtete die Vogelhändler, die an den grüngestrichenen Kiosken hockten, mit
ihren engen Käfigen, in denen sie bis zu zwei Dutzend zwitschernde Tiere
hielten. Vom Schwimmen im Meer war er hungrig und bestellte
Thunfisch-Sandwiches mit Oliven, dazu agua con gas , eine
Versicherung dagegen, kein ordinäres Leitungswasser kredenzt zu bekommen.
Links von ihm saß ein Mensch in einem Kaftan, der ihn aufdringlich
anstarrte. Karl glaubte, sein Gesicht von irgendwoher zu kennen. Und wirklich,
er mußte ihn kennen, denn der Mensch winkte ihn nun zu sich. Natürlich.
Beaumarchais! Vielmehr: Zanoussi! So hatte er sich letztlich genannt. Ob das
endgültig sein richtiger Name war? Karl erinnerte sich an den Winterabend, an
dem ihn der Redeschwall des Erzanarchisten einen Aperol gekostet hatte. Es war kaum
verwunderlich, Zanoussi hier zu treffen. Was hatte er noch mal prophezeit? Ach
ja, daß Hitler alle Juden töten würde, na klar. Karl wäre diesem Menschen
lieber aus dem Weg gegangen. Aber vielleicht war Zanoussi inzwischen, das
konnte passiert sein, ein hohes Tier geworden, ein Subjekt von Einfluß, Kaftan
hin oder her. Karl winkte zurück, ging zu ihm hin und nahm Platz. Das glaubte
er ihm doch zu schulden, denn Zanoussi war es schließlich gewesen, der ihn auf
den Gedanken gebracht hatte, nach Spanien zu gehen.
Mit einem laschen Händedruck erneuerten sie ihre Bekanntschaft.
Karl, nicht wahr?
Ja, immer noch, sagte Karl, man muß euch gratulieren.
Wem?
Euch. Den Anarchisten.
Ja, durchaus. Schon, oder?
Durutti wird von der halben Welt gefeiert.
Wer?
Durutti.
Ach ja, der. Blödsinn!
Wie bitte?
Durutti, erklärte Zanoussi, sei ein fanatischer Idiot, der Sturm auf
die Atarazanas-Kaserne hätte Hunderte Menschenleben gekostet, unnötige Opfer,
weil man Luft- und Artilleriehoheit besessen habe und die Putschisten mit ein
paar Bomben leicht zur Aufgabe hätte zwingen können. Aber die Bewegung brauche
Helden, und Helden seien eben, in den allermeisten Fällen, Idioten mit viel
Glück.
Karl fand diese Aussage
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