Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nicht ganz schlechte Menschen

Nicht ganz schlechte Menschen

Titel: Nicht ganz schlechte Menschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Krausser
Vom Netzwerk:
wirklich taugte. Zanoussi
trank billiges Bier, und mit jedem Glas, das er in sich hineingoß, wurde Karl
ihm noch ein wenig sympathischer. Vielleicht, nein, ganz sicher sogar, war
dieser weichliche Polittourist kein Kämpfer, zuviel Theorie hatte seinen Kopf
aufgebläht und für die wesentlichen Fragestellungen und Anforderungen der Zeit
vergiftet. Unübersehbar und über jeden Zweifel erhaben war aber auch sein
Wunsch, sich lieber heute als morgen aus der Peripherie des Geschehens, aus der
Welt der nutzlosen Zivilisten zu verabschieden. Zanoussi machte Karl ein
Angebot.
    Du nennst dich einen Journalisten?
    Ich schreibe für die Pariser Tageszeitung, ja.
    Ein Presse-Fritz! Ein Papier-Falter! Ein Zeilen-Honoratior! Na gut,
soll sein. Willst du mal was zu berichten haben? Exklusiv? Zanoussi hielt sich
an der Tischplatte fest, seine Hände, mit denen er nach der neuen Bierflasche
griff, zitterten leicht.
    Heute nacht könntest du was erleben. Ich würde für dich bürgen.
Sowohl was deinen Leumund betrifft als auch für deine Sicherheit. Komm mit! Als
Pressevertreter. Du wärst so unabhängig, wie du willst.
    Worum dreht es sich denn?
    Was soll die Frage? Bist du feige? Oder ein Spion?
    Nein, beides nicht.
    Zanoussi nannte ihm einen Treffpunkt am Südende der Ramblas, um zehn
Uhr abends. Und ging, um seinen Rausch auszuschlafen.
    Karl fand die Volksküchen eine fabelhafte Sache von großer
Werbewirkung, es gab sie überall in Barcelona. Die Lebensmittelvorräte wurden
praktisch gratis an die Bevölkerung verteilt und nicht nur an die Ärmsten und
Bedürftigsten. Aber ob die Anarchisten rechtzeitig begriffen, daß diese Vorräte
eines nahenden Tages verbraucht wären, und ob sie wussten, wie sie die
notwendige Produktion dann organisieren würden, stand auf einem anderen Blatt.
    Er mußte zugeben, daß in den Fabriken ganz normal gearbeitet wurde,
eher sogar, wie es hieß, etwas fleißiger und effektiver. Einige Fabrikbesitzer
und kapitalistische Funktionäre, die am Leben gelassen wurden, hatte man zu
einfachen Arbeitern degradiert.
    Max konnte seine Eifersucht nicht zähmen, geschweige denn
verdrängen. Wie so viele Männer zog er es vor, dem eigenen Scheiterhaufen immer
neuen und neuen Brennstoff zu liefern. Das geschah indes nicht nur aus
masochistischen Motiven. Wenn Ellie von Pierre zurückkehrte, kam es vor, daß
Max sie in der derbstmöglichen Weise fragte: Wieder aufgetankt worden? Und Ellie antwortete, mit ihrer nicht minder derben Berliner Schnauze: Be- ja, auf- nein .
Danach schliefen sie um so wilder miteinander. Seine Eifersucht verwandelte
sich direkt in Leidenschaft und Begierde. Davon hatten beide etwas. Nie war
Ellie so stürmisch von ihm geliebt worden. Von jenen Momenten abgesehen, litt
Max Höllenqualen.
    Vor dem Treffen mit Zanoussi betrat Karl noch einmal sein
Zimmer, wusch und rasierte sich und setzte sein Testament auf. Für den Fall,
daß ihm etwas geschehen würde, sollte Ines sein verbliebenes Bargeld an sich
nehmen. Er nahm zwar an, daß dies auch ohne testamentarische Verfügung der
natürliche Verlauf der Dinge sein würde, aber niemand sollte Ines eines
Diebstahls bezichtigen können. Karl war jemand, der stets den
schlimmstmöglichen Verlauf der Ereignisse vorhersah und diesem, soweit es
irgend ging, entgegenwirkte.
    Pünktlich um zehn Uhr abends erschien er am Treffpunkt.
Zanoussi war schon da, er hatte seinen Kaftan gegen einen blauen Overall
getauscht, in dem er wie ein Mechaniker aussah.
    Um ihn herum standen etwa zwei Dutzend Menschen in ähnlicher
Kleidung, es gab keine Uniform, und alle waren bewaffnet, mit Gewehren,
Handgranaten und Pistolen oder Revolvern. Karl hatte mit einem Marsch zum
Bahnhof gerechnet, mit einer Zugfahrt ins Hinterland, der damit verbundenen
Plünderung eines Klosters, irgend etwas dieser Art. Statt dessen stand man eine
halbe Stunde herum, bis die hinreichende Teilnehmerzahl erreicht war, als würde
ein Reiseführer es unter seiner Würde finden, vorher mit der Exkursion zu
beginnen.
    Was ist los? Fragte Karl. Zanoussi gab keine befriedigende Antwort.
Druckste herum, schwieg sich aus, plötzlich aber ergriff er das Wort und hielt
eine kurze Rede.
    Ein Vertreter der ausländischen Presse – dabei deutete er auf Karl –
sei heute zugegen, der der Welt Bericht erstatten würde. Wir wollen unseren
Gast mit unserem Leben beschützen, Freunde! Das zustimmende Geheul machte Karl
verlegen. Derart im Mittelpunkt zu stehen, ohne zu wissen, worum es überhaupt
ging,

Weitere Kostenlose Bücher