Nicht ganz schlechte Menschen
abnehmen.
Das unter dem Dach gelegene Zimmer Nummer 27 des Hotels Monbijou erfreute sich zunehmender Beliebtheit. Raymond de Paulignac hatte zwei, drei
engen Freunden die von ihm geschätzte Adresse samt den mit ihr verbundenen
Vorteilen anvertraut. Es schien ein gewisser Bedarf an einem Plätzchen solcher
Art zu bestehen, nicht nur von homosexueller Seite. Mitunter trafen sich dort
sogar Menschen ohne irgendein erotisches Motiv, und einmal diente das Zimmer
sogar als Übernachtungsmöglichkeit für einen Bankier, der am nächsten Tag ins
Ausland floh. Jedesmal verdiente Max zwanzig Francs, sein Kapital wuchs. Ein
wenig des verdienten Geldes ließ er Karl zukommen, per Scheck. Womit die Sache
unter moralischem Gesichtspunkt veredelt wurde. Es war ab einem gewissen
Zeitpunkt unumgänglich, Pierre zum Mitwisser zu machen, denn nicht immer
verfügte Max über die nötige Zeit, persönlich im Hotelhof zu warten, um
irgendeinem Unbekannten den Zimmerschlüssel zu überreichen. Bald schon genügte
es, an der Rezeption nach dem Spezialtarif für Zimmer 27 zu fragen. Es war gar nicht
leicht gewesen, Pierre dieses Procedere schmackhaft zu machen.
Um Himmels willen, Max, was geht da vor? Ich dachte, du nutzt das
Zimmer für dich selbst.
Habe ich das je behauptet?
Nein, nicht ausdrücklich, aber … Herrgott!
Was regst du dich so auf? Du kannst immer behaupten, du hast von
nichts gewußt, hast das Zimmer mir, deinem künftigen Schwager, zur Verfügung
gestellt. Daran ist nichts ehrenrührig oder strafbar. Du weißt von nichts, und
viel mehr weiß auch ich nicht.
Pierre war nicht grundsätzlich überzeugt, hielt sich für
hintergangen und legte, halb aus Ängstlichkeit, halb aus verletztem Stolz, dem
undurchschaubaren Treiben einen Riegel vor. Woraufhin Ellie sehr beleidigt
reagierte und eine halbe Woche nichts von sich hören ließ. Pierre lenkte
schließlich ein. Objektiv besehen würde er wohl keine Gefängnisstrafe
riskieren, wenn die Sache aufflog, und Ellie zu verärgern war das letzte, was
er wollte.
Karl stand bald vor der schwerwiegenden Entscheidung, die
Heimreise nach Paris anzutreten oder irgendeiner mehr oder weniger sinnvollen,
mit Naturalien bezahlten Tätigkeit nachzugehen. Seine Finanzen waren fast
aufgebraucht, und auf Ines’ Kosten wollte er nicht leben, wiewohl sie ihm
ständig einflüsterte, er müsse sich keine Sorgen machen, er habe unbegrenzten
Kredit und sei ihr Liebling. Seine Gefühle für Ines waren aber nach wie vor
bestenfalls freundschaftlicher Natur, ihr Verkehr mit den Freiern, den er
täglich durch die dünne Wand mitanhören mußte, bereitete ihm Ekel. Nicht
zuletzt empfand er Ines als Klotz am Bein. Ohne ihre Zuwendung und Aufopferung
hätte er sich ja längst für irgend etwas entschieden, entscheiden müssen.
Selbstgefällig benutzte er seine Zimmerwirtin als Rechtfertigung für eigene
Versäumnisse. Wenn er darüber reflektierte und ehrlich zu sich war, stieß ihm
der Selbstbetrug sauer auf. Er fand sich in einem Teufelskreis wieder. Und dann
kam Post. Ein Scheck von Max über vierhundert Francs. Den einzulösen war gar
nicht einfach, denn in Barcelona war das Bankensystem Geschichte. Nur ein paar
ausländische Transaktionsbüros und Wechselstuben funktionierten noch.
Schlußendlich bekam Karl die Summe von umgerechnet dreihundertzwanzig Francs
ausbezahlt. Damit konnte, Sparsamkeit vorausgesetzt, der kommende Winter
ausgesessen werden. Ehrenrunden im Teufelskreis. Karl nahm sie zähneknirschend
in Kauf. Immerhin folgte er Santilláns Ratschlag und bewarb sich bei mehreren
internationalen Nachrichtendiensten. Dort wären dringend Kriegsberichterstatter
gesucht worden, die die Welt von den Vorgängen an der Front aus erster Hand
informierten. Karl meinte regelmäßig, sein Talent liege eher darin, jene
unausgegorenen Informationen literarisch und in der korrekten politischen
Terminologie auszuformulieren. Worauf er zur Antwort bekam, daß solche Posten,
falls sie überhaupt existierten, für die Neffen mächtiger Herausgeber
reserviert seien. Um vielleicht einmal als gefüttertes Etappenschwein zu enden,
müsse der Normalmensch sich zuerst als Frontferkel beweisen. Karls Hoffnung
ruhte auf dem wachsenden Einfluß der moskautreuen Kommunisten. Sie hatten zu
Beginn der Kämpfe zahlenmäßig kaum eine Rolle gespielt, doch dank der
Waffenlieferungen Stalins, von denen die republikanische Regierung längst
abhängig war, zogen sie viele zuvor anarchistisch organisierte Arbeiter auf
ihre
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