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Nicht ganz schlechte Menschen

Nicht ganz schlechte Menschen

Titel: Nicht ganz schlechte Menschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Krausser
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Aufbau der Miliz. Wenngleich er keinen offiziellen
Rang besaß und das Wort Minister im Zusammenhang mit einem Anarchisten damals
noch keinen Sinn ergab. Es wirkte auf Karl denn auch beeindruckend, wie leicht
es war, mit so einem führenden Kopf ins Gespräch zu kommen. Es genügte, ihn bei
einer Kundgebung direkt anzusprechen und um Rat zu bitten. Santillán nahm sich
zehn Minuten Zeit für den jungen Deutschen, der seinen Beitrag zur Befreiung
des spanischen Volkes leisten, aber nicht mit der Waffe kämpfen wollte und für
einen Fronteinsatz kaum, wie er schamerfüllt eingestand, die nötigen
körperlichen Bedingungen erfüllte. Da gäbe es doch genügend Möglichkeiten,
meinte Santillán, Karl solle als Fabrikarbeiter anfangen, das sei nebenbei ein
brauchbares körperliches Training.
    Naja, meinte Karl, aber das wäre vielleicht, nein, ganz sicher
sogar, eine Verschwendung der in ihm wohnenden Fähigkeiten.
    Du willst lieber in der Küche arbeiten oder im Lazarett als
Sanitäter? Es gibt soviel sinnvolle und wichtige Beschäftigungen. Es lag ein
gewisser spöttischer Ton in diesen Worten.
    Das schon, aber eigentlich liegt meine Domäne im geistigen Bereich.
Ich bin Journalist, freier Journalist.
    Ohne feste Anstellung im Moment?
    Das weiß ich nicht so genau. Ich vermute es fast.
    Bist du Anarchist?
    Nein. Kommunist.
    Geh zur POUM , die
haben, in Maßen, ein Herz für Pazifisten. Als Ausländer wird dich
niemand zwingen, mit einer Waffe zu kämpfen. Bei uns dürftest du als Ausländer
sogar jederzeit desertieren, ohne Konsequenzen, wußtest du das?
    Karl schüttelte erstaunt den Kopf.
    Das hat seinen Grund nicht nur im anarchistischen Prinzip. Ich will
dir was sagen: Leute haben wir genug, was wir brauchen, sind Waffen. Wir haben
die Grenze nach Frankreich dichtgemacht, denn ständig kommen junge Idealisten
ins Land, die uns unterstützen wollen, uns aber nur auf der Tasche liegen, weil
sie sich alle zu fein sind, mit dem Gewehr in der Hand ins Feld zu ziehen. Und
selbst wenn sie ein Gewehr in die Hand nehmen, schießen sie sich eher aus
Ungeschicktheit ein Loch in den eigenen Fuß als einem Faschisten ein Loch in
den Kopf. Du machst mir den Eindruck einer gewissen Bildung, aber gute
Milizionäre brauchen keine Bildung, die ist für einen Kämpfer eher als geistige
Behinderung einzustufen. Wovon lebst du im Moment?
    Letzte monetäre Reserven. Ich kam als Gast, als Sportler in dieses
Land, und lebe sehr bescheiden.
    Als Sportler? Santillán hob die Brauen.
    Schach.
    Wie dem auch sei. Ich gebe dir einen Rat: Steig herab von deinem
Podest, unterdrücke deinen Dünkel, leiste ehrliche und harte Arbeit, iß das
Brot, das du verdienst, mit reinem Gewissen. Und wenn es nur ein halbes Jahr
dauert: Mach diese Erfahrung, sie lohnt sich ungemein. Nebenher kannst du dich
bei den ausländischen Presseagenturen um einen Posten als
Kriegsberichterstatter bewerben. Wahrscheinlich sprichst du leidlich Spanisch,
aber kein Català, richtig?
    Karl nickte. Er fühlte sich ertappt und durchschaut.
    Dann geh nach Madrid, bestimmt gibt es dort bessere Möglichkeiten.
Viele unserer Frontkämpfer können weder schreiben noch lesen. Du könntest
diesen Menschen nach Diktat Briefe an deren Angehörige aufsetzen, das wäre,
nicht wahr? – eine recht sinnvolle Tätigkeit. Da bekämst du sogar direkt, aus
erster Hand, Informationen von der Front, ohne daß du dich in eine dringende,
mit der Würde deiner Person nicht zu vereinbarende Gefahr begeben müßtest.
    Karl hörte aus diesen Sätzen allerlei Spitzen heraus, die er wenig
gerechtfertigt fand. Dieser salbadernde Mensch kannte ihn doch gar nicht, nahm
sich aber das Recht heraus, ihn zu kritisieren, ja herunterzumachen. Um nicht
zu sagen: zu zerpflücken.
    Santillán legte ihm zum Abschied noch einmal dringend Demut ans Herz. Die Jugend müsse in Zeiten wie dieser bereit sein, sich ausnahmsweise
einer großen Sache zu unterwerfen. Habe man sich erst bewährt, komme der
verdiente Aufstieg von selbst. Seinen Vortrag schloß er mit zwei eingeübten
Aphorismen ab. Die Welt wird immer leiden unter jungen Männern, die zuviel
erreichen, und alten Männern, die zuviel behalten wollen. Angesichts ihres
kurzen Lebens machen sich die Menschen meist unangemessen viele Sorgen. Guten
Tag!
    Aufgewühlt erzählte Karl am Abend Ines von jener Begegnung. Und
fragte sie, wobei er von ihr eher tröstende Worte als eine klare Stellungnahme
erwartete, was er tun solle.
    Du solltest, sagte Ines, etwas

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